Gewohnheiten verstehen: So tust du dir langfristig Gutes

Wie brechen wir mit schlechten Gewohnheiten? Und wie gewöhnen wir uns ungezwungen neues an? Der Science Snack gibt praktische Antworten aus der Wissenschaft.

Science Snack #1: Gewohnheiten verstehen


Einen wesentlichen Anteil unseres alltäglichen Lebens steuern unbewusste Automatismen für uns. In der Regel beginnt das direkt am Morgen mit dem Aufwachen. Ohne nur einmal bewusst darüber nachdenken zu müssen, checken wir die News auf dem Smartphone, kochen Kaffee, gehen Duschen, ziehen uns an, putzen Zähne, oder tun, was auch immer zur eigenen Morgenroutine gehören mag. Dabei ist es nicht notwendig zu überlegen, wie ein Handy entsperrt, eine Kaffeemaschine bedient oder eine Zahnpastatube aufgeschraubt wird.

So kommt es, dass:

  1. Zwischen 30 und 50% des Handelns nach Schätzungen des Sozialpsychologen Bas Verplanken durch Gewohnheiten bestimmt sind.

  2. Etwa 95 % unserer täglichen Entscheidungen gar nicht das Bewusstsein erreichen, wie Forschungen des Harvard-Professors Gerald Zaltman zeigen.

Ohne Routinen, Automatismen und andere unbewusste Prozesse, wäre unser menschliches Gehirn schlichtweg überfordert von der Flut an zu lösenden Denkaufgaben. Dank dieser Automatismen können wir Energie für die wirklich wichtigen Situationen des Tages einsparen. Das sind zum einen komplexere Denkaufgaben, wie wenn wir etwas Neues planen, organisieren oder entwickeln möchten. Zum Anderen füllen wir unsere Reserven, um in Stresssituationen angemessen reagieren zu können.

Dieser natürliche Mechanismus des Gehirns, wiederkehrende Aufgaben zu automatisieren, kann uns helfen oder hindern – denn ob eine Routine wohltuend oder schädlich ist, ist für den Prozess der Automatisierung nicht relevant. Das Gehirn unterscheidet dabei nicht zwischen gut und schlecht, sondern bevorzugt bloß einfache Lösungen für einen reibungslosen Alltag. Dadurch werden auch ungewollte oder schädliche Angewohnheiten bis hin zu Süchten stetig verfestigt.

Wie Gewohnheiten entstehen: Der Habit Loop

Die Entstehung von Routinen kann gut anhand des Habit Loops erklärt werden. Dabei handelt es sich um ein psychologisches Modell, das verdeutlicht, wie Gewohnheiten unbewusst entstehen, gefestigt und aufrecht erhalten werden.

  1. Eine Umrundung dieses Kreislaufs wird durch einen Auslöser losgetreten. Solche Auslöser können sich auf die Zeit oder auch auf den Kontext beziehen.

  2. Das Gehirn lernt, dass eine bestimmte Reaktion funktioniert, um mit dem auslösenden Reiz umzugehen.

  3. Deshalb wird das Belohnungssystem aktiv und signalisiert, dass eine Lösung für die Aufgabe gefunden wurde.

Die Verbindung zwischen Auslöser und Reaktion wird dadurch gestärkt. So ist es noch wahrscheinlicher, dass das Verhalten bei der nächsten Konfrontation mit dem Reiz wieder auftritt.

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Beispiele für Zeit- und Kontext-Auslöser:

  • Die Uhr auf meinem Schreibtisch zeigt an, dass es 12:15 Uhr ist und erinnert mich damit an meine tägliche Mittagsmeditation (Zeitlicher Auslöser). Ich betrete den digitalen Raum, in dem schon Kolleg:innen warten und öffne die 7Mind-App. Wir tauschen uns kurz aus und meditieren dann gemeinsam (Handlung). Danach fühle ich mich erfrischt und energiereicher als noch zuvor (Belohnung). Am nächsten Tag um kurz nach 12 habe ich die Meditation schon im Sinn und betrete den digitalen Raum rechtzeitig, um wieder zu meditieren.

  • Ich trete einem Online-Meeting bei und begrüße meine Kolleg:innen. Als wir vollzählig sind, (Kontext-Auslöser) öffne ich die 7Mind-App und starte die einminütige Stille-Meditation. Alle schweigen für 60 Sekunden und sitzen achtsam mit geschlossenen Augen vor ihren Bildschirmen (Handlung). Danach fühle ich mich konzentriert und aufnahmefähig und interessiere mich für die Projekte der Anderen (Belohnung).

Beide Routinen aus den Beispielen werden sich festigen und aufrechterhalten bleiben, je öfter ich sie wiederhole und ein positives Feedback aus meinem Belohnungssystem bekomme. Vollkommen automatisch werde ich gegen kurz nach 12 ans Meditieren denken und zu Beginn eines Meetings den Wunsch haben, einen Moment mit meinem Kolleg:innen zu schweigen und mich zu sammeln. Die Signale, die dabei im Gehirn verarbeitet werden, wandern in tiefere Areale meines Gehirns und werden buchstäblich verinnerlicht.

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Mit Selbstkontrolle Gewohnheiten brechen

Versuchen wir, diesen Kreislauf zu durchbrechen, geschieht das häufig durch Selbstkontrolle. Das bedeutet, dass wir automatisches Verhalten mit der Willenskraft unseres Verstandes durchbrechen möchten. So verbieten wir uns beispielsweise die Zigarette, den Burger oder den Serien-Marathon auf der Couch. Wir begegnen uns selbst mit Härte, mit Verboten und Geboten. Das kann funktionieren und uns ein gutes Gefühl geben, weil wir die gesteckten Ziele achten und verfolgen.

Gleichzeitig können sich Zurückhaltung und mühevolle Selbstkontrolle wenig attraktiv und anstrengend anfühlen. Studien zeigten sogar, dass Menschen, die häufig auf solche selbstkontrollierenden Strategien zurückgreifen, eine geringere psychische Gesundheit haben, unter Stress oder starken Emotionen eher zusammenbrechen und dass ihre natürliche körperliche Regulation von Körperfunktionen, wie z.B. Appetit, gestört wird.

Wir möchten dir gern ein wissenschaftliches Paper vorstellen, das sich damit beschäftigt hat, wie wir Belohnung nutzen können, um Verhaltensmuster achtsam zu ändern. Die Autor:innen beschreiben einen nachhaltigeren Weg der Veränderung. Er basiert darauf, dass wir so motiviert sind, in Übereinstimmung mit unseren Zielen zu handeln, dass Unsicherheiten oder Vermeidungsstrategien uns nicht von unseren Wegen abbringen. Das wird dann in der Psychologie autonome Selbstregulation genannt.

Autonomie bedeutet hier, in Einklang mit eigenen Werten, Bedürfnissen und Absichten zu handeln, anstatt auf kontrollierende Mechanismen, wie z.B. sozialen Druck, Normen oder Ideale zu reagieren. Steigende Autonomie kann auch dazu führen, dass wir uns für neue Ziele entscheiden und alte über Board werfen - z.B. Yoga machen statt Joggen oder nach Gesundheit streben, anstatt nur gut aussehen zu wollen.

Regulieren wir uns selbst auf diese autonome Art, führt das laut verschiedenen Studien zu einigen Verbesserungen. Unter anderem:

  • bessere Leistung

  • höhere Kreativität

  • mehr Ausdauer

  • stärkere Vitalität

  • höheres Wohlbefinden

Autonome Handlungen nehmen wir als weniger anstrengend wahr. Wir genießen sie eher, als dass wir einen inneren Kampf erleben. Allerdings ist auch die Autonomie kein Alles-oder-Nichts Phänomen. Unsere Handlungen liegen eher irgendwo dazwischen. Sind wir vollkommen extrinsisch - also von außen - motiviert, wollen wir vor allem Bestrafung oder Abwertung vermeiden und handeln entsprechend. Vielleicht streben wir auch nach Lob und Belohnung von außen - auch das ist extrinsische Motivation. Sind wir vollkommen von inneren heraus, also intrinsisch, motiviert, vertreten wir von uns aus jene Werte, die wir akzeptieren und als wichtig empfinden. Wir handeln dann nach unseren Interessen, nach dem, was uns Vergnügen und innere Zufriedenheit bereitet.

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Charakteristika verschiedener Modi der Selbstregulation. Die Autonomie steigt von links nach rechts an. Weitere Infos in der Originalstudie.

Wie handeln wir autonomer?

Bisher ist in der Wissenschaft wenig darüber bekannt, wie wir selbst diese Veränderung - hin zu mehr Autonomie - schaffen können. Der Artikel, der diesem Science Snack zugrunde liegt, sieht einen Schlüssel dafür in unserer Fähigkeit, bewusst im Hier und Jetzt zu sein und innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen, wenn sie sich zeigen. Er liegt also in der Achtsamkeit.

Verstehe dein Belohnungssytem!

Wie erfolgreich wir unser Verhalten mithilfe von Achtsamkeit ändern können, hängt laut den Forschenden auch mit unserem Belohnungssystem und wie gut wir es verstehen zusammen. Seit unserer frühsten Kindheit schleifen sich Muster in unser ganz eigenes Belohnungssystem ein und werden im Unbewussten abgespeichert. Doch wie lohnend etwas ist, kann sich ändern. Das kann dadurch beeinflusst werden, wie sich das Verhalten jetzt in diesem Moment anfühlt. Bewusst wahrzunehmen, wie lohnend eine Handlung oder Gewohnheit ist und inwieweit sie dazu beiträgt, aktuelle Ziele zu erreichen, hilft uns also auch dabei herauszufinden, wie wir uns nun verhalten möchten.

Von Moment zu Moment bewusst zu erfahren, wie ein Verhalten uns und unsere Werte beeinflusst, ist also der wesentliche Punkt bei dieser Herangehensweise. Dabei geht es nicht um eine gedankliche Reflexion über Verhalten und Konsequenzen, sondern darum, direkt im Moment wahrzunehmen, was ist.

7 Tipps für gelassene Selbstregulierung

Vielleicht können dich diese sieben Punkte der Forschenden dabei begleiten, eine ungezwungene Selbstregulierung zu üben.

Übe nach und nach ein Bewusstsein zu entwickeln, für...

1. Verhaltensweisen, die nicht im Einklang mit den eigenen Zielen sind.

z.B.: Gerade habe ich eine Serie am Stück durchgeschaut. Ich hatte dann etwas Kopfschmerzen und fühlte mich unaufmerksam. Ich habe darüber nachgedacht, was meine anderen Optionen gewesen wären. Hätte ich weniger Folgen geschaut, würde ich mich jetzt vielleicht frischer und präsenter fühlen.

2. Die Folgen des Verhaltens.

z.B.: Am Abend habe ich begonnen eine Serie zu schauen. Zuerst war ich froh, mich entspannen zu können, doch dann merkte ich, wie es mich anstrengt auf den Bildschirm zu schauen und wie mich der Thriller emotional mitnimmt.

3. Die Auslöser des Verhaltens.

z.B.: Es fühlt sich an, als sei es eine unmittelbare Antwort auf Stress in meinem Alltag, mich am Abend in Filme und Serien zu vertiefen und über die Herausforderungen nicht mehr nachdenken zu müssen. Das zu erkennen, fühlt sich an wie ein Fortschritt.

4. Anstrengende, mühsame Verhaltensbeschränkungen.

z.B.: Es fühlt sich an, als würde es nichts bringen, gegen das Verlangen, mich in Serien zu versenken, anzukämpfen. Ich versuche mich daran zu erinnern, dass das Verlangen nicht das Problem ist. Das Problem kommt erst dann, wenn ich versuche es wegzuschieben oder es befriedige.

5. Resultate erzwungener Verhaltensbeschränkungen

z.B.: Wenn ich mir am Abend selbst verbiete, eine Serie zu schauen, bekomme ich schlechte Laune, fühle mich gelangweilt und auch etwas wütend. Ich halte mich zwar oft daran, aber es fühlt sich nicht wirklich gut an.

6. Deine Möglichkeiten und neue Verhaltensweisen.

z.B.: Ich hatte immer das Gefühl, am Abend nicht genug Energie für bestimmte Tätigkeiten zu haben. Doch heute habe ich nur kurz die Nachrichten geschaut und danach begonnen, ein Buch zu lesen. Ich habe dabei beobachtet, wie die Geschichte aus dem Buch sich vor meinem inneren Auge ausgestaltet hat.

7. Resultate der neuen, ungezwungenen Verhaltensweisen.

z.B.: Am Abend habe ich es mir mit einem Buch auf der Couch gemütlich gemacht. Mir ist aufgefallen, dass der Geruch der Seiten und das raue Papier mir ein Gefühl von Geborgenheit geben. Ich wähle bewusst Themen aus, mit denen ich mich beschäftigen möchte und manchmal schaue ich gerne einen Film zu dem Thema. Ich fühle mich verbunden mit mir, wenn ich mich bewusst mit Themen auseinandersetze, die mich interessieren.


Die Podcast Folge zum Artikel


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