Macht das Sinn oder kann das weg? Purpose in der Arbeitswelt
Purpose ist wichtig, aber auch ein Privileg. Wie wichtig ist ein Arbeitsplatz mit Sinn? Antworten aus Philosophie, Organisationsforschung und Karriereberatung.
Alexandra Gojowy
Arbeit mit Purpose
Sklaven der Neuzeit. So bezeichnet der Philosoph Richard David Precht alle Menschen, die der Kreativbranche das Kreativsein erleichtern, wĂ€hrend sie selbst zu einem Mindestlohn bei Wind und Wetter auf ihren FahrrĂ€dern oder in ihren Transportern sitzen. Wir erkennen sie an den ĂŒbergroĂen, quadratischen RucksĂ€cken, mit denen sie Startups ihr Lunch vorbeibringen, Zutaten fĂŒr das Abendessen liefern oder die vergessene ChipstĂŒte in zehn Minuten vor der HaustĂŒr abstellen. Fakt ist: Damit das Leben einiger, mĂ€Ăig bis sehr erfolgreichen, BerufstĂ€tigen im Flow bleiben kann, braucht es diese Menschen. Gleichzeitig wird der Begriff "Purpose", also Sinnhaftigkeit, fĂŒr viele Unternehmen immer wichtiger. Wer seinen Arbeitnehmenden keinen höheren Sinn versprechen kann oder ein Produkt verkauft, das nicht die Welt verbessert, wird es schwerer haben, die kommenden Generationen fĂŒr sich zu gewinnen.
Einige Berufsgruppen können es sich leisten, die Sinnfrage zu stellen. Andere Menschen können ihren Job nicht danach auszusuchen, ob er einem höheren Ziel dient. Precht stellt im GesprĂ€ch mit Markus Lanz eine interessante Frage: Was, wenn sich Mitarbeitende der Lieferdienste ebenfalls die Sinnfrage stellen wollen (1)? NatĂŒrlich ist diese Diskussion keine schwarz-weiĂe. Viele Menschen lieben die Abwechslung und das Unterwegssein, fĂŒr sie wĂ€re ein BĂŒrojob der Horror. Dass Fahrradkuriere jedoch unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden, zeigte jĂŒngst das Beispiel des Lieferdienstes Gorillas. Die Mitarbeitenden protestierten zuletzt gegen befristete VertrĂ€ge, sowie schlechte Dienstplanung und AusrĂŒstung. Im November 2021 wurde schlieĂlich ein Betriebsrat ernannt, der sich fĂŒr die BeschĂ€ftigten einsetzen wolle. Ein gutes Beispiel, dem hoffentlich viele folgen.
Aber was wollen denn nun die Arbeitnehmenden von morgen? Wie wichtig Purpose wirklich ist, zeigt ein Blick in die Arbeitsphilosophie.
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Generation Z sind Arbeitnehmenden zwischen 18 und 29 Jahren. Laut einer Umfrage des Personaldienstleisters Randstad und Mentefactum, wollen 72% der Befragten einer sinnvollen Arbeit nachgehen (2). Beeinflusst sei dieser Trend vor allem von der Nachhaltigkeitsbewegung. Der "Faktor Purpose" zĂ€hlt also nicht nur bei der Entscheidung ĂŒber das Fortbewegungsmittel oder die Kleidung, sondern auch bei der Auswahl des Arbeitgebers.
Interessant ist auch, dass die Generation Z materiellen Wohlstand als wichtig erachtet und gleichzeitig einen positiven Beitrag fĂŒr die Umwelt leisten will. Da es noch zu wenig nachhaltige Unternehmen gibt, wird sich zeigen, inwieweit diese beiden Punkte vereinbar sind.
Weniger romantisch als "Arbeit mit Sinn" klingt die Meinung des Organisationsforschers Hans Rusinek. Er sagt, dass es sich eigentlich um ein PhĂ€nomen handle, das bereits wĂ€hrend der Hippie-Bewegung entstanden ist. Unternehmen suggerierten ihren BeschĂ€ftigten, dass es wichtig sei, sich zu verwirklichen, Leidenschaften zu entwickeln und Ideale zu verfolgen. Dahinter steckt, damals wie heute, der heimliche Wunsch, die Belegschaft zu motivieren und produktiver zu machen. âWenn BeschĂ€ftigte motiviert sind, ist das ein riesiger Wettbewerbsvorteil und klar im Interesse der Stakeholder eines Unternehmensâ, so Rusinek in einem Artikel des Human Resources Manager (3).
Dazu kommt, dass sich immer weniger Menschen ĂŒber die Religion mit einem höheren Sinn verbunden fĂŒhlen. So wird der Fokus immer stĂ€rker auf den Job gelenkt und entsprechende Erwartungen an den Arbeitsplatz gestellt. Die Grafik oben zeigt aber noch etwas anderes: Einen sehr hohen Anspruch an das, was man selbst geben möchte und sich von der eigenen Arbeit erhofft. Ganz schön viel Druck, vor allem, wenn man Berufseinsteiger:in ist.
Entspannt zur Bestimmung
Laut einer Konsumentenumfrage der Columbia Business School, sind 87% der Teilnehmenden ĂŒberzeugt, dass Unternehmen einen Wert fĂŒr die Gesellschaft leisten sollten (4). FĂŒr Arbeitnehmenden bedeutet das natĂŒrlich, dass sie diese Aufgabe mittragen. Karriereberater Philip Apke sagt, dass der persönliche Purposewunsch so zu einer "sozial-nachhaltigen Weltverbesserungsmission" ernannt werde â was zu einer groĂen BĂŒrde werden könne. Sein Tipp: sich erstmal auf einen Teil der Purpose-Pyramide konzentrieren, nĂ€mlich Wert zu schaffen. "Wenn du einen Wert fĂŒr andere schaffst; einen simplen Nutzen fĂŒr deine Mitmenschen oder KundInnen, lebst du bereits deinen Purpose! Diese Definition nimmt den ganzen groĂen sozial-missionarischen PurposeDRUCK radikal weg und verdeutlicht trotzdem den dienenden Charakter eines Lebens im Purpose", so Apke in einem Artikel fĂŒr GoodJobs (5).
Als ein Unternehmen, das sich der Achtsamkeit widmet, haben wir bei 7Mind eine eigene Perspektive. Achtsamkeit bedeutet fĂŒr uns, einen reflektierten Umgang mit den eigenen Gedanken, GefĂŒhlen, aber auch Einstellungen und Privilegien zu kultivieren. Sich mit dem Thema Achtsamkeit auseinanderzusetzen kann sich sehr sinnvoll anfĂŒhlen. Dem eigentlichen Purpose ist sie aber vorgeschaltet. WĂ€hrend der Achtsamkeitspraxis lernen wir uns zunĂ€chst kennen, wir erkennen unsere Werte, was uns wichtig ist, was wir brauchen, um gesund zu leben und zu arbeiten. Sie lĂ€sst sich immer schulen, ganz egal in welchem Beruf.
Wie wir am Anfang gezeigt haben, ist es nicht selbstverstĂ€ndlich, dass man sich im Job die Purpose-Frage stellt. Und allzuoft halten wir einen bestimmten "Work-Life-Style" fĂŒr selbstverstĂ€ndlich, der aber durch andere Berufsgruppen mitgetragen wird. Hier kann sich jeder die Frage stellen, ob Purpose nur dem Einzelnen dienen soll oder nicht doch ein Gemeinschaftsprojekt ist. Achtsamkeit kann das nicht beantworten. Sie kann aber immer wieder ein Hilfsmittel sein, um bei sich anzukommen, durchzuatmen und all die groĂen und kleinen Sinnfragen fĂŒr einen kurzen Moment nicht ganz so ernst zu nehmen.
Die Podcastfolge zum Artikel:
Quellen
Foto: Brooke Cagle via Unsplash
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