Bindungstypen: Wie sie unsere Beziehungen beeinflussen können

Du gerätst immer wieder in ähnliche Beziehungskonflikte und weißt nicht warum? Psychotherapeut Ulrich Wilken erklärt vier Bindungstypen.

von Gastautor und Dipl-Psych. Ulrich Wilken 

Die meisten Paare streiten sich um vermeintliche Kleinigkeiten. Wer macht den Abwasch, bringt den Müll hinunter oder hält die Wohnung sauber? Wer kümmert sich um den Einkauf, fährt mit dem Auto vorsichtig und umsichtig, wird nicht zu laut und vergisst die Wertschätzung nicht?

Während diese Streitpunkte womöglich klein wirken, erlangen sie allzu häufig eine Intensität, die einen überraschen mag. Die Frage sollte also lauten: Worum streiten die Paare? In meiner Arbeit stelle ich häufig Folgendes fest: Die Menschen streiten oft darum, wer die Welt richtig sieht, wer Recht hat. Das gilt neben romantischen Beziehungen auch für andere Bindungen – zu unseren Eltern, Freund:innen oder Kolleg:innen.

Um besser zu verstehen, wie sich solche Situationen so emotional aufladen können, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit und auf die Beziehungsmuster, die sich daraus entwickelt haben.

Bindungstheorie: Wie wir Beziehungen eingehen

Laut der Bindungstheorie von John Bowlby [1], die in den 1950er Jahren entwickelt wurde, gibt es vier Bindungstypen:

  • Bindungstyp A: unsicher-vermeidene Bindung

  • Bindungstyp B: sichere Bindung

  • Bindungstyp C: unsicher-ambivalente Bindung

  • Bindungstyp D: unsicher-desorganisierte Bindung

Diese vier Bindungstypen bilden auch heute noch die Grundlage der Bindungsforschung.

Nach über 40 Jahren therapeutischer Erfahrung habe ich festgestellt, dass vor allem zwei fundamentale Fragen eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um die Quelle vieler Beziehungsprobleme geht:

  • Hat die Person Vertrauen in die (bedingungslose) Liebe?

  • Hat die Person Vertrauen in die Beständigkeit von Liebe?

Wie jemand diese Fragen für sich beantwortet, kann damit zu tun haben, ob die Person in der Kindheit und/oder Pubertät die Erfahrung gemacht hat, um ihrer Selbst willen geliebt zu werden. Basierend darauf und in Anlehnung an Bowlby haben wir von myndpaar die Beziehungstypen deshalb neu definiert.

Zunächst sei allerdings gesagt, dass diese Kategorien nicht trennscharf sind und sich mit der Zeit verändern können. Es soll nicht darum gehen, ein Label zu finden oder in Kategorien zu denken, sondern eher um die Fragestellung, ob man bei aktuellen Beziehungskonflikten Muster aus früheren Zeiten erkennen kann. Bei myndpaar arbeiten wir gerne mit folgenden Bindungstypen:

Sichere Bindungsstile

1. Der stabile Bindungstyp

Wenn sich Menschen in ihrer Kindheit grundlegend als wertvoll und geliebt gefühlt haben, ist die Grundlage für einen stabilen Bindungsstil geschaffen. Diese ermöglicht es ihnen, auch in späteren Beziehungen ein stabiles Fundament aufzubauen und ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu erleben. Auch wenn gelegentliche Auseinandersetzungen Teil von vermutlich jeder Beziehung sind, sind Respekt, Wertschätzung und Achtung tragende Säulen ihrer Beziehungen. Meiner therapeutischen Erfahrung nach gelingt es Menschen mit diesem Bindungsstil in der Regel gut, bewusst mit ihren eigenen Ressourcen umzugehen und sie zeigen Interesse, sich persönlich weiterzuentwickeln. Sie können Vertrauen aufbauen, sind unterstützend und fühlen sich wohl dabei, Nähe zu anderen zuzulassen.

2. Der neugierige Bindungstyp

Menschen mit einem neugierigen Bindungstypen gelten bei uns als eine Unterkategorie des stabilen Beziehungstypen und haben ebenfalls ein relativ stabiles Fundament. Es scheint zwar immer mal wieder Auseinandersetzungen zu geben, die die Harmonie der Beziehung stören. Die Beziehung selbst ist aber nicht in Gefahr.
Trotzdem kann man sich fragen, warum in bestimmten Situationen immer wieder ähnliche Konflikte auftreten. Die Frage könnte lauten: Worum streitet ihr? Wie oben beschrieben, streiten die Paare nicht selten darüber, wer recht hat und wer die Welt nun richtig sieht. Dabei ist der Inhalt in vielen Fällen gar nicht so wichtig, sondern die Emotionen und der Umgang mit ihnen bestimmen den Verlauf der Auseinandersetzung. Neugierige Bindungstypen nehme ich als aktiv wahr und als motiviert, die Grenzen auszuloten, während sie trotzdem wertschätzend kommunizieren. Sie sind zugewandt und haben Vertrauen in die Beständigkeit von Liebe, selbst wenn Situationen ungewiss sind.

Unsichere Bindungsstile

3. Der sehnsüchtige Bindungstyp

Meiner Erfahrung nach haben Menschen mit einem sehnsüchtigen Bindungstypen, wie wir ihn nennen, viele flüchtige Begegnungen, obwohl sie sich häufig stabile Verbindungen für die Zukunft wünschen. Seien es nun Liebesbeziehungen oder auch Beziehungen zu den Eltern oder Freund:innen. In meinen Augen kann es Sinn ergeben, den Blick auf sich selbst zu richten und zu erkunden, was man dazu beitragen kann, damit der Wunsch in Erfüllung geht:

Die meisten haben vielleicht Angst vor Verletzungen und vor Enttäuschungen. Dieses Gefühl ist fast immer wesentlich älter und in der Kindheit oder Pubertät entstanden. Wenn Kinder die Erfahrung machen, dass sie nicht genug Aufmerksamkeit und Liebe von ihrer Bezugspersonen bekommen (z.B. wenn diese auf sich selbst bezogen sind, kaum Zeit haben, zu viel Alkohol trinken oder Drogen nehmen, wenn Geschwister bevorzugt werden, wenn sie nicht das “richtige” Geschlecht haben, etc.), dann entsteht ein Gefühl von Ohnmacht. Um dieser Ohnmacht zu entkommen, beziehen Kinder diesen Umstand und diese Erfahrungen nicht selten auf sich selbst: “Wenn ich nur anders wäre… dann würde ich die Liebe und Anerkennung schon noch bekommen”. Daraus entstehen dann Leitsätze wie: “Ich genüge nicht. Ich bin nicht richtig. Ich reiche nicht.” Oder aber auch “Ich bin zu viel”.

Wir alle wollen uns zugehörig und geliebt fühlen. Menschen mit diesem Bindungsstil haben nur eine besonders starke Sehnsucht, sich um ihrer Selbst willen geliebt zu fühlen. Die Krux dabei ist: Diese negativen Leitsätze neigen dazu, sich im Sinne selbsterfüllender Prophezeiungen zu bewahrheiten, obwohl man das gar nicht will: Beispielsweise sprechen Menschen mit diesem Bindungsstil gar nicht erst neue Leute auf einer Party an, weil sie glauben, dass sich “sowieso niemand für sie interessiert” und fühlen sich dann in diesem Glaubenssatz bestätigt, wenn niemand aktiv auf sie zukommt.

Neben dem Blick auf sich selbst kann es auch Sinn ergeben, zu schauen, ob wir jemand anderem eine Teilschuld zuschreiben. Ein versöhnlicher Blick in die Vergangenheit kann oft einen positiven Einfluss auf das aktuelle Leben und (zukünftige) Beziehungen haben. Auch wenn es herausfordernd ist, vielleicht gelingt es dir, auch die schmerzhaften Erfahrungen liebevoll als Teil deiner Biographie anzuerkennen. Ist die Schuld jedoch so schwer, dass ein Vergeben nicht möglich scheint, dann kann ein Annehmen und bewusstes Auseinandersetzen mit dem Gefühl und seinen Ursachen helfen, sich auf zukünftige Beziehungen einzulassen.

Wenn du dir bei dieser Reflexion Unterstützung wünschst, zögere nicht, ein:e psychologische:r Psychotherapeut:in aufzusuchen.

4. Der unsichere Bindungstyp

Dieser Bindungstyp ist in unserem Konzept eine Steigerung des sehnsüchtigen Beziehungstypus. Möglicherweise waren bisherige Beziehungen nicht von großer Dauer. Gleichzeitig kann die Sehnsucht stark sein, sich um ihrer Selbst willen geliebt zu fühlen. Gedanken wie: „Ich reiche nicht“, „ich genüge nicht“, „ich bin nicht so wichtig“, „egal, was ich mache, es reicht nicht“, sind ähnlich wie beim sehnsüchtigen Typen Teil ihrer Lebenserfahrungen. Diese Menschen haben nicht gelernt, Vertrauen in die Ungewissheit aufzubauen. Womöglich haben sie nie die Erfahrung gemacht, sich authentisch zeigen zu dürfen oder Beziehungen auf Augenhöhe zu führen.

Die Zukunft ist offen

Im Grunde unterscheiden wir bei myndpaar die Bindungserfahrungen also in sicher und unsicher gebunden. Wie oben bereits erwähnt, sind diese Kategorien allerdings nicht trennscharf und können sich über die Zeit durchaus wandeln. Dafür hilft ein achtsames Auseinandersetzen mit unserer Lebensgeschichte, unseren Beziehungsmustern und Glaubenssätzen. Denn wenn wir einschätzen lernen, wann intensive (negative) Emotionen tatsächlich mit der aktuellen Konfliktsituation oder aber mit längst vergangenen Erfahrungen zu tun haben, können wir bewusster entscheiden, wie wir mit ihnen umgehen wollen. So können wir Stück für Stück neue, korrektive Erfahrungen machen. Wie ich gerne sage: Vertrauen kann nur über das Erleben entstehen. Für diesen Prozess kann therapeutische Hilfe sehr hilfreich sein.

Das Gute ist, dass die Vergangenheit genauso eine Konstruktion ist wie die Zukunft. Wir haben die Möglichkeit, in einem gewissen Rahmen unsere Lebensgeschichte zu beeinflussen, indem wir ihr eine neue, andere Bedeutung geben. Die Dinge sind nicht zwingend in sich selbst problematisch, sondern unsere Bewertung und Bedeutungsgebung entscheiden darüber, in welchem Licht ein Problem erscheint. Wir haben also Einfluss auf unsere Geschichte und damit auf unsere Zukunft.


BildÜber den Gastautor: Dipl.-Psych. Ulrich Wilken ist psychologischer Psychotherapeut und hat vor über 30 Jahren das Institut für Systemische Studien in Hamburg gegründet. Er arbeitet seitdem als Dozent, Einzel- und Paartherapeut. Zusammen mit seiner Tochter Leonie hat er außerdem myndpaar, die KI-basierte Psychotherapie App, gegründet.


Quellen:

[1] Bowlby, J. (1969). Attachment. New York: Basic Books.

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