Perfektionismus ablegen? 5 Impulse

Hohe Ansprüche und Selbstkritik - bringen sie dich voran oder halten sie dich zurück? Erfahre, wie sich Perfektionismus äußern kann und fünf Impulse, um ihn zu überwinden.

von Eva Siem

Fast wäre dieser Artikel nie entstanden. Der lähmende Anspruch, den perfekten Einstieg ins Thema zu finden, kann schon gerne mal einen halben Arbeitstag kosten (bitte nicht meinem Chef erzählen). 

Die ganze Komplexität eines psychologischen Themas einfach und verständlich, anschaulich und ansprechend aufs Papier zu bringen, scheint schier unmöglich. Aber wie heißt es im Englischen so schön: “Better done than perfect” (dt. “Fertig ist besser als perfekt”)! Deshalb kommt hier nun der fertige Artikel zum Thema “Perfektionismus” und eine Ermutigung zur Unvollkommenheit!

Paradox des Perfektionismus

“Gut ist nicht gut genug”. Solche Maxime der Selbstoptimierung wurden vielen von uns schon von klein auf mitgegeben. Und schon bemerken wir, wie wir die E-Mail zum hundertsten Mal nach Rechtschreibfehlern überprüfen, verschiedene Farbcodierungen für unsere weiter wachsende To-Do-Liste ausprobieren oder die perfekte Einrichtung für unseren Arbeitsplatz austüfteln, bevor wir tatsächlich loslegen können.

Man spricht auch vom Perfektionismus-Paradox: Es soll alles perfekt werden. Dabei verliert man sich nur gerne im Detail, sodass man am Ende nichts geschafft bekommt und womöglich sogar prokrastiniert.

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Fluch oder Segen?

Perfektionismus kann manchmal wie eine Schwäche wirken. Doch wie so vieles im Leben gibt es auch auf das Thema Perfektionismus verschiedene Perspektiven. Perfektionismus kann nämlich auch sehr hilfreich sein: So wird positiver Perfektionismus beispielsweise mit besserer Leistung [1], mehr intrinsischer Motivation [2] und weniger Prokrastination [3] in Verbindung gebracht. Bei dieser Form des Perfektionismus setzt man sich zwar hohe Standards, aber lässt sich im Prozess nicht von harscher Selbstkritik zurückhalten.

Und genau hier liegt der Knackpunkt: Denn auf der anderen Seite des Spektrums gibt es auch dysfunktionalen Perfektionismus. Noch wichtiger als ein perfektes Ergebnis zu erzielen, scheint es, ein mögliches Scheitern zu vermeiden. Der Anspruch ist nicht mehr nur, eine tolle Präsentation zu halten, sondern alle Eventualitäten aus dem Weg zu räumen, für überfüllte Folien oder langweilige Beispiele verurteilt zu werden. Problem dabei ist nur, wer kennt es nicht: “Alles, was nicht perfekt ist, ist nicht gut genug.” Glaubenssätze wie diese laden unsere kritische innere Stimme ein, uns alle Unzulänglichkeiten vor Augen zu halten und vielleicht sogar den verpatzten Vortrag der 8. Klasse aus den Tiefen unserer fast verdrängten Erinnerungen zu holen.

An dieser Stelle stellt sich also die Frage: Wie hört sich dein innerer Monolog beim Arbeiten an deinen Aufgaben an – ist er motivierend und bestärkend? Neutral? Oder eher selbstverurteilend und kritisch?

Die vielen Gesichter des Perfektionismus

Neben der Frage, ob unser Perfektionismus nun hilfreich ist oder nicht, gibt es noch weitere Unterscheidungen. So definierten die Psychologen Hewitt und Flett [4] drei verschiedene Ausprägungen:

  • Selbstorientierter Perfektionismus: Diese Menschen setzen sich selbst perfektionistische Standards – sei es das Streben nach einem perfekten Lebenslauf, der perfekten Beziehung, der perfekten Morgenroutine oder das perfekte Ergebnis für ein Arbeitsprojekt – die Liste ist endlos. In der positiven Ausprägung kann diese Form des Perfektionismus anspornen und motivieren; in der negativen allerdings auch von übermäßiger Selbstkritik und Grübeleien begleitet sein. 

  • Sozial vorgeschriebener Perfektionismus: Hier liegt der Fokus eher darauf, Ablehnung zu vermeiden und den (vermeintlich) perfektionistischen Erwartungen und Normen der Gesellschaft oder anderer Menschen genügen zu wollen. Sogar im Humor kann sich diese Form widerspiegeln: Sozial vorgeschriebene Perfektionist:innen tendieren nämlich häufiger zu Witzen auf ihre eigenen Kosten [5].

  • Fremdorientierter Perfektionismus: Statt selbst nach Perfektionismus zu streben, haben fremdorientierte Perfektionist:innen extrem hohe Ansprüche an andere. Die Hutschnur kann schneller platzen, da die Frustrationstoleranz eher gering ist und Witze werden auch auf Kosten anderer gemacht [5]. Diese Form wird häufig mit Narzissmus in Verbindung gebracht [6].

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Was kann ich gegen Perfektionismus tun? 5 Impulse

So vielfältig die Ausprägungen von Perfektionismus sind, können natürlich auch die Tipps aussehen, um Perfektionismus zu überwinden. Trotzdem möchten wir dir ein paar Impulse mitgeben, mit denen du starten kannst: 

1. Verbesserung statt Perfektion

Statt dich auf ein perfektes Endergebnis zu versteifen und dich zu ärgern, wenn es nicht klappt, kannst du einmal beobachten, wie sich dein Gefühl verändert, wenn du dich auf die kleinen Fortschritte im Prozess fokussierst. Vielleicht hast du nicht alle Punkte deiner Morgenroutine abhaken können, aber hast dir im Gegensatz zu früher Zeit für ein entspanntes Frühstück genommen? Verbesserung statt Perfektion anzustreben kann Druck nehmen und motivieren, statt aufzuhalten.

2. Definiere dein Ziel

Um dich nicht im Detail zu verlieren, kannst du vorher definieren, wann das Projekt abgeschlossen ist. Was ist dein Ziel und warum? Beispielsweise kann die Unterscheidung helfen, welche Elemente des Projekts wirklich notwendig und welche nur eine nette Ergänzung sind. Im Prozess kannst du dann zwischendurch immer mal wieder innehalten und dich fragen, ob dir das, was du tust, gerade wirklich hilft, dein Ziel zu erreichen.

3. Übe dich in Selbstmitgefühl

Wenn du Makel findest, es nicht schnell genug vorangeht oder du andere perfektionistische Ziele verfolgt, beobachte, welchen Raum kritische Gedanken dabei einnehmen und wie sie dein Wohlbefinden beeinflussen. Übe, dir in diesen Momenten mit Selbstmitgefühl zu begegnen. Was würdest du deiner besten Freundin raten? Vielleicht hilft dir auch ein bewusster Fokus auf wohlwollende Gedanken wie “Diese Dinge machen mich menschlich”, dich selbst zu umarmen oder dir vorzustellen, wie enge Vertraute in dieser Situation mit dir umgehen würden.

4. Wecke das Kind in dir

In vielen Situationen sind wir darauf aus, möglichst effizient zu sein und Fehler zu vermeiden. Statt immer nur abzuliefern, darfst du dir auch Zeit zum Spielen und Experimentieren nehmen! Vielleicht gibt es neue Herangehensweisen an deine Aufgabe, die du testen möchtest? Oder du möchtest herausfinden, ob dir ein bestimmtes Thema oder eine Tätigkeit Spaß macht? Schaffe Gelegenheiten, dich (auch ohne konkretes Ziel) auszuprobieren und beobachte, was dir daran Freude bereitet (und was du sonst noch erlebst). Das Ergebnis ist dabei unwichtig. Dieser Ansatz kann helfen, mehr Leichtigkeit ins Tun zu bringen und vielleicht sogar einen Wert darin zu sehen, wenn Dinge mal anders laufen als geplant.

5. Sieh es mit Humor

Warum muss überhaupt perfekt sein? Manchmal kann es auch gut tun, über die kleinen Absurditäten, Missgeschicke, Gedankenfehler oder Planänderungen zu lachen! Wenn wir sowas bei anderen Menschen mitbekommen, findest du das nicht auch irgendwie sympathisch und nahbar? Dieser Perspektivwechsel kann uns ebenfalls Druck nehmen und helfen, die kleinen Unvollkommenheiten des Lebens mit offenen Armen willkommen zu heißen.

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Manchmal ist es auch vom Kontext abhängig, welche Tipps und Herangehensweisen hilfreich sind. Deshalb gilt auch hier: Beim Ausprobieren dieser Impulse darfst du deinen Perfektionismus ablegen und experimentieren, was für dich gut funktioniert.


Quellen:

[1] Jo, H. & Lee, Hyejon. (2010). The mediating effects of achievement goals on the relation among perfectionism, academic burnout and academic engagement. Korean Journal of Youth Studies. 17. 131-154.

[2] Stoeber J, Feast AR, Hayward JA. Self-oriented and socially prescribed perfectionism: Differential relationships with intrinsic and extrinsic motivation and test anxiety. Personality and Individual Differences. 2009;47(5):423-428. doi:https://doi.org/10.1016/j.paid.2009.04.014

[3] Sirois, F. M., Molnar, D. S., & Hirsch, J. K. (2017). A meta‐analytic and conceptual update on the associations between procrastination and multidimensional perfectionism. European Journal of Personality, 31(2), 137–159. https://doi.org/10.1002/per.2098

[4] Hewitt, P. L., & Flett, G. L. (1991). Perfectionism in the self and social contexts: Conceptualization, assessment, and association with psychopathology. Journal of Personality and Social Psychology, 60, 456–470. doi: 10.1037/0022-3514.60.3.456

[5] Stoeber, J. (2015). How other-oriented perfectionism differs from self-oriented and socially prescribed perfectionism: Further findings. Journal of Psychopathology and Behavioral Assessment, 37(4), 611–623. https://doi.org/10.1007/s10862-015-9485-y

[6] Sherry SB, Gralnick TM, Hewitt PL, Sherry DL, Flett GL. Perfectionism and narcissism: Testing unique relationships and gender differences. Personality and Individual Differences. 2014;61-62:52-56. doi:https://doi.org/10.1016/j.paid.2014.01.007

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