Scham um Sex: Wünsche und Grenzen erkunden

Ein offener Umgang mit Sexualität ist oft schambehaftet. Hier liest du einen Erfahrungsbericht, wie es gelingen kann, im Bett authentisch zu sich selbst zu stehen.

von Gastautor Leonard Gabriel Heygster

Vorbemerkung: Dieser Artikel ist auf Basis der Folge “Scham & Sexualität: Was sind meine Wünsche und Grenzen?” im humansarehappy Podcast entstanden.

Sexuelle Wünsche und Grenzen erkennen

Vielleicht kennst du das: Du willst dich zeigen, willst sagen, was du dir wünschst. Doch immer wieder gelingt dir das mehr schlecht als recht. Mir jedenfalls passiert das immer wieder, vor allem aber im Kontext Sexualität. Dabei ist es doch gerade hier so wichtig, die eigenen Wünsche und Grenzen zu kommunizieren, denn das Erleben der eigenen Sexualität hat einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden.

Weil sexuelle Wünsche und Grenzen oft sehr verletzliche Seiten in uns ansprechen, fällt es vielen Menschen schwer, sich hier authentisch zu zeigen. Aber kann Verletzlichkeit zeigen und Intimität zulassen, nicht auch ein Zeichen der Stärke sein? Und wenn ja, können wir diese Stärke trainieren? Ich für mich habe mir auf jeden Fall vorgenommen, mich mehr von einer verletzlicheren Seite zu zeigen.

Wie aber können wir lernen, uns authentischer zu zeigen? Die eigenen Wünsche und Grenzen zu spüren und sie liebevoll anzunehmen, ist oft schon ein Thema an sich. Sich damit auch noch vor anderen zu zeigen, das kann zusätzlich herausfordern. Inmitten meiner inneren Auseinandersetzung mit diesem Thema stolpere ich über ein Angebot: Eine Tempel Nacht für Anfänger:innen.

Verbindungsräume schaffen

Du fragst dich jetzt vielleicht, was das für ein Event ist. Eine allgemeine Definition dazu habe ich dazu bis heute nicht gefunden. Und da ich mir der Wortherkunft nicht bewusst bin, werde ich das Event im weiteren Bericht als “Verbindungsraum” bezeichnen.

Es geht im Grund nämlich um einen gemeinsam kreierten Raum, in dem Menschen authentisch und vor allem im Konsens miteinander in Verbindung gehen können. Dabei darf alles da sein und es muss auch nichts da sein. Es handelt sich also nicht um eine Sex-Party oder um eine Swinger-Party – wenngleich es in diesem Raum sehr wohl dazu kommen kann, dass Menschen auch körperlich oder intim miteinander werden. 

Das Event, über das ich also gestolpert bin, war aber ja explizit für Anfänger:innen gekennzeichnet. Gemeint war damit, dass der Rahmen spielerisch und langsam ist. Es ging darum, die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper und die eigenen Emotionen zu richten und davon ausgehend mit anderen Menschen in Verbindung zu gehen.

Dass dieser Verbindungsraum für Anfänger:innen war, bedeutet, dass es als nicht penetrativer Raum gekennzeichnet war, in dem die Unterwäsche anbleibt. 

Dieser Zusatz gibt mir Sicherheit, denn ich möchte mich nicht überfordern und ich suche nicht nach einer Sex-Party. Was ich hingegen sehr wohl möchte, ist, in einem sicheren Rahmen mit den eigenen Wünschen und Grenzen in Berührung zu kommen, diese für mich selbst zu spüren und zu lernen, sie im Außen zu verkörpern. Ich entschließe mich, dieses Event zu besuchen. 

Die Angst wahrnehmen

Zu Beginn des Events wird kurz der Ablauf des Abends erklärt: Es gibt einen geführten Teil und einen offenen Teil. Im geführten Teil geht es darum, langsam und schrittweise mit sich selbst und anderen in Verbindung zu gehen. Erst durch Blicke und Bewegungen, dann durch Worte, später durch Berührungen. Im offenen Teil dann gibt es Raum fürs Verspieltsein und Ausprobieren.  

Und tatsächlich komme ich gleich zu Beginn des Abends in vielfacher Hinsicht vor allem mit mir selbst in Verbindung: Mit meiner Angst, hier auf Menschen zu treffen, die ich schon aus anderen Kontexten kenne. Mit meiner Angst, total albern zu wirken, als wir uns zum Start des geführten Teils nur nach unserem Gefühl zur Musik durch den Raum bewegen sollen. Mit meiner Angst, anderen wirklich mitzuteilen, was ich an ihnen mag, was ich attraktiv finde, worauf ich mit ihnen Lust hätte.

Sich langsam öffnen

Später dann komme ich aber auch immer stärker mit etwas anderem in mir in Verbindung: Ich nehme diesen Anteil von mir als verspielter, wohlwollender, ja sogar als mutiger wahr. 

Ich merke, wie ich mich trotz meiner anfänglichen Angst immer sicherer fühle und immer mehr öffne. Es gibt verschiedene, geführte Runden, in denen wir uns den anderen Teilnehmenden authentisch öffnen können. Dabei geht es immer wieder darum, die eigenen Wünsche und die der anderen wertzuschätzen, statt zu werten. Ebenso ist es auch mit Grenzen; den eigenen und den fremden.

Der geführte Teil des Abends ist für mich wie ein langsames Herantasten. Ein Herantasten an die Begegnung mit mir selbst, als eine Art sichere Basis, von der aus ich mit anderen interagiere, von der aus eine echte, verletzliche und authentische Verbindung möglich und gewollt ist.

Wünsche annehmen lernen

Das ist sie, die Basis, die es mir ermöglicht, mich dem offenen Teil hinzugeben: Es geht dabei nicht darum, dass irgendetwas bestimmtes passieren soll, dass ein Wunsch umgesetzt oder ein Bedürfnis befriedigt wird. Es geht darum, dass ein Wunsch oder ein Bedürfnis da sein darf. Dass es total okay ist, Wünsche zu haben, ebenso wie Grenzen. 

Das ist der Zauber, den ich vor allem aus diesem Abend mitnehme: Das schöne Gefühl von Verbundenheit, das vor allem dann aufkommen kann, wenn Menschen sich authentisch und liebevoll begegnen.

Wie kann das im Alltag gelingen?

In meinen Augen ist bereits das etwas Großartiges: Zu den eigenen sexuellen Wünschen oder Grenzen zu stehen und, wenn es sich richtig und sicher anfühlt, diese erst einmal auszusprechen. Es geht dabei gar nicht darum, dass immer alle Wünsche erfüllt werden, sondern dass sowohl Wünsche wie auch Grenzen wertgeschätzt werden.

Denn wenn Menschen sich authentisch mit ihren Wünschen und Grenzen begegnen und diese gleichermaßen anerkennen, wertschätzen und wahren, dann kann eine Art von Verbundenheit entstehen, die oft viel schöner ist, als die reine Freude darüber, den eigenen Wunsch erfüllt zu bekommen. 

Du musst aber natürlich nicht erst ein Event wie dieses besuchen, um mehr mit deinen sexuellen Wünschen oder Grenzen in Kontakt zu kommen.

Impulse, um Wünsche und Grenzen zu erkunden

Ich stelle mir selbst in Abständen immer wieder diese Reflexionsfragen. Möglicherweise haben sie auch für dich einen Mehrwert:

  • Wenn ich an meine eigene Sexualität denke, wie fühlt sich das in meinem Körper an? Gibt es irgendwo ein Ziehen, ein Stechen, ein Pochen, ein Hüpfen, ein Pulsieren? 

  • Welche Impulse oder Bilder erscheinen mir bei dieser Frage? 

  • Gibt es „geheime“ Wünsche, die ich vielleicht habe, mir aber bisher selbst gar nicht eingestehe, dass ich sie habe? 

  • Gibt es Wünsche, von denen ich weiß, dass ich sie habe, aber mich bisher nicht traue, sie einem anderen Menschen zu sagen oder sie gemeinsam auszuprobieren? 

  • Oder anders herum: Gibt es Dinge, die ich vielleicht manchmal mache, obwohl ich es gar nicht so gerne möchte oder vielleicht lieber anders möchte, mich aber bisher nicht traue, dazu auch zu stehen?

  • Wenn ich wüsste, die Antwort wäre ja, was würde ich mit einem anderen Menschen gerne mal ausprobieren?

  • Wie kann ich in meinem Leben sichere Räume schaffen, um mich (alleine oder mit anderen) dem Thema Sexualität zu nähern und zu öffnen – und zwar in meinem Tempo und emotional sicher, vielleicht sogar spielerisch?

Der sichere Raum als Basis

Ich denke, dass vor allem der sichere Raum hier ein entscheidender Faktor ist, ebenso wie die bereits erwähnte Haltung: Alle Wünsche und jede Grenze sind okay und haben es verdient, wertgeschätzt zu werden. 

Dafür braucht es auch nicht immer ein großes Event. Du kannst sicher auch alleine ganz eigene, schöne und sichere Räume dafür schaffen, mit dir selbst oder anderen Menschen zusammen. Hierbei kann folgende Frage ein hilfreicher Start sein: 

  • Was brauche ich (oder du), um mich sicher genug zu fühlen, über die eigenen Wünsche oder Grenzen zu sprechen? 

  • Wie könnte ein (gemeinsam geschaffener), sicherer Rahmen aussehen, um sich diesem Thema gemeinsam zu öffnen? 

  • Welche innere Haltung ist mir dabei wichtig? 

  • Wie kann ich den Rahmen spielerisch und in meinem Tempo gestalten? 

Die Scham um Sexualität ablegen

Mir ist bewusst, dass das Thema Sexualität sehr sensibel ist und Menschen hier sehr unterschiedliche, vielleicht sogar belastende oder traumatische Erfahrungen gemacht haben. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit verschiedenen Sichtweisen abzubilden, wäre an dieser Stelle zu umfangreich für einen Blog-Artikel.

Daher ist dieser Artikel ein rein subjektiver Erfahrungsbericht, denn ich möchte damit vor allem eines erreichen: Das Thema der Sexualität zu enttabuisieren und dazu ermutigen, sich authentisch und offen damit auseinanderzusetzen. Ich freue mich, wenn dieser Artikel dazu beitragen kann.


BildEinen ausführlichen Erfahrungsbericht von diesem Event hörst du im humansarehappy Podcast in der Folge “Scham & Sexualität: Was sind meine Wünsche und Grenzen?”.

Im humansarehappy Podcast beschäftigt sich Leonard Gabriel Heygster mit der Frage nach dem Gelingenden Leben. Dazu spricht er immer wieder mit Menschen aus den Bereichen Wissenschaft oder Gesellschaft und teilt regelmäßig auch eigene Erfahrungen.

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