Jedem Anfang wohnt (k)ein Zauber inne?

Anfangen heißt mutig sein! Unser Gastautor Leonard G. Heygster fragt sich, ob wirklich jedem Anfang ein Zauber inne wohnt und wie wir ihn für uns entdecken.

von Gastautor Leonard Gabriel Heygster

Stell’ dir vor, Hermann Hesse hätte es wirklich so gemeint, als er schrieb „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Man möchte ihn doch beneiden. 

Wer hat sich nicht schon einmal zu einem Anfang geschleppt, ohne Lust, ohne Zauber? Einfach, weil die Prüfung sonst nicht bestanden würde oder anderweitige Konsequenzen drohten. Doch Halt: Nur, weil ich einen Zauber nicht sehe, heißt das nicht, dass er nicht da ist, oder? Hat Hesse doch Recht?

Die Traumatherapeutin Dami Charf spricht im humansarehappy Podcast übers Anfangen. Im Gespräch wird schnell klar: anfangen ist nicht gleich anfangen. Ist Zauber dann auch nicht gleich Zauber? Zeit, ein wenig zu differenzieren. 

Am Anfang ist der Impuls

Wenn wir mit etwas anfangen, dann folgen wir in der Regel einem Impuls, erklärt Dami Charf. So ein Impuls kann unterschiedlicher Natur sein:

Habe ich beispielsweise ein starkes Warum, das berühmte Why, das mich antreibt? Ein Warum ist immer zielgerichtet, es ist explizit. Es lässt uns damit anfangen, uns auf ein bestimmtes Ziel hinzubewegen.

Anders ist es, wenn wir unserem natürlichen Explorationsdrang folgen. Vielleicht kennst du das noch aus deiner Kindheit: Du gehst raus, einfach um die Welt zu entdecken. Dabei ist nicht entscheidend, was entdeckt wird, sondern dass entdeckt wird. Der Impuls, aus reiner Neugier entdecken zu wollen, ist sehr viel offener als ein explizites Warum.  

Vermeiden oder anpassen?

Ein Anfangsimpuls kann große Energie mit sich bringen. Und die ist wichtig, denn sie hilft uns, überhaupt mit etwas anzufangen. Ob das der Zauber ist, den Hermann Hesse sah? Doch wenn ich immer nur Dinge anfange, bringe ich doch nichts wirklich zu Ende, oder? Dami Charf erklärt, dass der Impuls eines Anfangs uns hilft zu starten, doch um bei etwas zu bleiben, brauche es Disziplin. Dinge nicht weiterzuführen ist in diesem Sinne aber kein Scheitern. Eine Situation neu zu bewerten kann vielmehr zu einer sinnvollen Anpassung führen – und diese wiederum zu einem neuen Anfang. 

Ein simples Beispiel: Angenommen, ich gehe immer am gleichen Tag in der Woche joggen, aber heute regnet es sehr stark. Eigentlich habe ich heute daher keine Lust rauszugehen und möchte lieber nicht joggen. Ich könnte jetzt mit Disziplin und einer gewissen Verbissenheit trotzdem laufen gehen. Wenn ich es mir aber gestatte, die Situation neu zu bewerten und mir einen gemütlichen Nachmittag mache – empfinde ich meinen Umgang mit der Situation dann vielleicht sogar als gelingender? Vielleicht sogar gerade weil ich es mir gestatte, sie neu zu bewerten und selbstbestimmt eine Anpassung vornehme? 

Für Dami Charf ist das die entscheidende Frage:

„Ist es Anpassung oder Unterordnung? Das sind unterschiedliche Geschmacksrichtungen.“

Innere Sicherheit als Grundlage für Anfangen

Neues zu wagen heißt immer auch die Aufgabe von Sicherheit. Ein Dilemma, das viele Menschen davon abhält, zu starten: 

„Viele Menschen haben Träume und ordnen diese Träume unter den Alltag und kriegen diesen Neuanfang nicht hin, weil er ihnen zu viel Angst macht", erklärt die Traumatherapeutin.

Sie betont, welch große Freiheit in innerer Sicherheit liegt: 

Wenn ich diese Freiheit in mir nicht finden kann, wo ich diese Sicherheit her beziehe, dann werde ich Neuanfänge vermeiden; wenn mein Leben hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, dass ich mich scheinbar sicher fühle."

Wenn also Sicherheit eine Grundlage dafür ist, dass wir uns trauen, Neues anzufangen und Gewohntes aufzugeben, dann ist doch eine wichtige Frage: Woher beziehe ich Sicherheit in meinem Leben?

Was gibt mir Sicherheit?

Ob wir uns sicher fühlen, liegt in der Regel nicht an einer bestimmten Sache, sondern ist auf mehrere Säulen verteilt – wenngleich verschiedene Menschen diese als unterschiedlich wichtig bewerten. 

So ziehen einige ihre Sicherheit aus sozialen Beziehungen oder dem Gefühl von Gruppenzugehörigkeit. Andere finden Sicherheit in äußeren Strukturen, wie zum Beispiel einem sicheren Arbeitsverhältnis. Wieder andere ziehen ihre Sicherheit aus der Verbundenheit mit sich selbst oder der Natur. Entscheidend ist, so Dami Charf, dass ein neuer Anfang keine unserer Säulen angreift, geschweige denn infrage stellt:

„Wenn man sich bestimmte Dinge nicht traut neu zu machen, dann liegt das häufig daran, dass eine von diesen Säulen oder die eine Säule scheinbar oder tatsächlich angegriffen wird oder unsicher wird. Dann werde ich den Schritt nicht gehen.“

Menschen, die wenig Sicherheit in sich selbst fänden, versuchen häufig, Sicherheit über Kontrolle zu erlangen, erklärt Dami Charf. Doch vollständige Kontrolle sei eine Illusion: 

Die Welt ist nicht zu kontrollieren. Aber viele Menschen, die sich in sich wenig sicher fühlen, versuchen diese Sicherheit genau über Kontrolle zu erlangen.“

Das wird allerdings in den wenigsten Fällen zu einem nachhaltigen Gefühl von Sicherheit führen: 

„Deswegen ist es so, so wichtig daran zu arbeiten, mehr Weite und Sicherheit in das eigene System zu bringen."

In Sicherheit starten

Wer sich sicher fühlt, dem fällt es leichter, neue Dinge anzufangen. Das ließe sich vor allem bei Kindern oder Babys beobachten, sagt Dami Charf im Interview. Gerade das eingangs beschriebene Explorationsverhalten sei vor allem bei Kleinkindern stark ausgeprägt – solange sie sich sicher fühlen.

„Die krabbeln, schauen zurück und gucken: Ist Mama noch da? Und wenn Mama noch da ist, ist alles cool, dann wird die Welt weiter entdeckt.“

Wenn Kinder jedoch weniger Sicherheit erleben, dann kann das mitunter Folgen für das gesamte Leben mit sich bringen.

Kinder, die weniger Sicherheit erleben, grenzen ihre Exploration ein. Das ist etwas, was uns dann unter Umständen ein Leben lang begleitet, dass das Neue immer Angst macht.“

Wenn Raum für Offenheit fehlt 

Dami Charf fügt an, dass die Rate von jungen Erwachsenen mit Angststörungen so hoch sei, wie nie zuvor. Als eine mögliche Ursache dafür erwähnt sie eine für sie schlüssige Theorie, die mit dem Helikoptereltern-Syndrom im Zusammenhang steht. 

Von Helikoptereltern spricht man dann, wenn Eltern zum vermeintlichen Schutz ihrer Kinder ständig auf diese aufpassen. So nehmen Eltern ihren Kindern allerdings die Möglichkeit, auch schmerzhafte Erfahrungen zu machen. Doch genau diese sind wichtig, um zu lernen, mit Schmerz zurechtzukommen und ihn zu überwinden. Die Erfahrung, mit Schmerz umgehen zu können, kann wiederum die innere Sicherheit unterstützen, mit Ungewohntem umzugehen und Neuanfänge zu wagen. Das kann sich möglicherweise dann auch im späteren Leben widerspiegeln. 

Hinzu kommt, dass auch der Alltag im späteren Kinder- und Jugendlichenalter in der Regel sehr strukturiert ist. Große Lücken, um Neues zu entdecken, bietet der Alltag von Kindern und Jugendlichen kaum:

„Das Leben von Kindern im Schulalter ist durchgetaktet wie das von Managern. Und wenn es Raum gibt, schaut man ins Handy: Diese Mischung macht nicht fit fürs Leben."

Doch ein Zauber? 

Was wäre, wenn du dich innerlich sicher und frei fühlst und dein Alltag dir die Zeit bietet, immer wieder Neues zu machen? Wahrscheinlich wäre noch immer jeder Anfang ein Wagnis. Begleitet von Unsicherheit, vielleicht sogar von Angst. Das Aufgeben von Gewohntem, ein Sprung ins kalte Wasser. Vielleicht läge aber genau darin dann ein Zauber. Wer weiß? 


BildIm humansarehappy Podcast spricht Leonard Gabriel Heygster alle zwei Wochen mit Menschen aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft oder Gesellschaft zu den Themen Wohlbefinden, Zufriedenheit und Glück.


Quellen:

Leonard Gabriel Heygster. Wie wage ich einen neuen Anfang? – mit Dami Charf. humansarehappy. Published August 29, 2023. Accessed August 29, 2023. https://www.humansarehappy.org/post/wie-schaffe-ich-endlich-anzufangen-mit-dami-charf

Bild: Ante Hamersmit via Unsplash

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