Erwartungen beim Neuanfang: Wie begegnen wir ihnen achtsam?

Mit (Neu)anfängen gehen oft Erwartungen und Ängste einher. Wir geben 4 Impulse, wie wir ihnen offen und achtsam begegnen.

Luzie Seidel

Neuanfang: Erwartungen vs. Realität

Veränderung ist die einzige Konstant im Leben, dachte sich Heraklit einmal und schrieb es mit Feder und Tinte nieder. So hochgestochen und poetisch es klingen mag, enthält der Gedanke allerdings einen wahren Kern: Veränderung beginnt immer mit loslassen und anfangen. Tagtäglich durchlaufen wir Prozesse der großen und kleinen Veränderungen, die uns auch schon mal quer im Magen liegen. Denn anfangen heißt auch immer sich ein bisschen verletzlich zu machen. Die Angst uns hinauszuwagen hält uns im goldenen Käfig unserer Komfortzone gefangen. Dabei ist anfangen (und immer wieder anfangen) ein integraler Bestandteil unseres Lebens und kann uns besondere Erfahrungen, Menschen und Chancen bescheren. Oft begleiten uns Erwartungen, wenn wir vor neuen Anfänge und Umbrüchen stehen. Wir haben Vorstellungen davon, wie unser neues Kapitel aussehen soll und welche Ergebnisse wir erwarten. Doch wie beeinflussen diese Erwartungen unsere Neuanfänge? Und wie können wir uns diesen Neuanfängen achtsam öffnen?

Warum fällt uns (neu)anfangen so schwer?

Neuanfänge könnten doch so schön sein, wären da nicht diese Unsicherheit und die Angst, was passiert, wenn der Umzug, der Jobwechsel oder der Beginn einer neuen Beziehung oder Freund:innenschaft nicht so läuft wie wir erwarten. Warum können wir diese neuen Dinge nicht einfach genießen und unseren Kopf ausschalten? Die Antwort ist genauso einfach, wie komplex. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und haben ein grundlegendes Bedürfnis nach Sicherheit. Haben wir im Leben schlechte Erfahrungen gemacht und Rückschläge erlebt, trauen wir uns natürlich nicht mehr so recht aus unserer Komfortzone heraus. Wir gewinnen Sicherheit aus Erfahrungswerten: Wir haben uns verliebt und die andere Person fühlt es auch, das Vorstellungsgespräch lief super oder der Streit mit einer:einem Freund:in hat sich geklärt. Fehlen uns aber diese Erfahrungswerte, fühlen wir uns unsicher, gereizt oder frustriert, über einen Veränderung, die wir nicht einschätzen und kontrollieren können: Uns fehlt letztlich das Vertrauen.

Dieses (fehlende) Vertrauen versteckt sich oft in unseren Wurzeln. Der Psychiater und Psychotherapeut Karl Heinz Brisch bringt unsere Angst vor Neuem mit (un)sicherem Bindungsverhalten in Verbindung (1). Lernen Kinder in einem geschützten Raum, was es bedeutet das Spektrum zwischen Bindung und Unabhängigkeit zu erkunden, so entwickeln sie für gewöhnlich ein stabiles Bild von sich selbst und ihren Fähigkeiten, so Brisch (1). Wir erleben also die Magie der Selbstwirksamkeit und bauen so ein Gefühl von Sicherheit in uns und schlussendlich auch in das Leben auf.

Wie gehen wir achtsam mit Erwartungen um?

Wenn wir unsere Erwartungen verringern, werden wir mehr Zufriedenheit erfahren, besagt eine buddhistische Weisheit. Heißt das, wir sollten am Besten gar keine Erwartungen haben? Vielleicht. Aber dazu kommen wir später noch einmal. Für die meisten von uns ist das sicherlich erstmal schwer denkbar. Vielmehr sollten wir uns fragen, wie (unsere) Erwartungen Neuanfänge beeinflussen und wie wir achtsam mit ihnen umgehen können.

Erwartungen sind ein bisschen wie ein innerer Kompass, der bei unseren Vorstellungen, Annahmen und Wünsche ausschlägt und uns in den eigenen Annahmen von richtig und falsch durch Täler und Berganstiege leitet. Unsere Erwartungshaltung ist dementsprechend sehr individuell und beeinflusst den Blickwinkel, mit dem wir Neuanfänge betrachten. Und das sowohl positiv, als auch negativ. Wir halten an Beziehungen fest, in denen wir uns nicht mehr wohlfühlen, weil wir das Gefühl haben, nie wieder so eine Person zu finden. Der erste Arbeitstag im neuen Job löst bei uns Angstzustände aus: Wie sind die neuen Kolleg:innen? Werde ich den Aufgaben gerecht werden? Gefällt mir der Job überhaupt?

Der Neuanfang kann aber auch ganz anders aussehen: Wir sind total aufgeregt neue Leute und Persönlichkeiten kennenzulernen und uns auszuprobieren. Der neue Job, die Ausbildung oder das Studium erwarten wir mit Freude und Spannung, neue Räume zu entdecken und zu lernen. Unsere Erwartungshaltung färbt die Wahrnehmung, die Gefühle und Gedanken, mit denen wir Neuanfängen entgegen schauen. Wie sieht es bei dir aus: Welche Gedanken ploppen auf, wenn du folgende Fragen liest?

  • Wie offen begegnest du einem Neuanfang?

  • Welche Erwartungen bringst du mit?

  • Wie verhältst du dich, wenn es anders kommt als du dir erhoffst?

Wie können wir Neuanfängen offen begegnen?: 4 Impulse für achtsames Anfangen

Wir können Neuanfängen nicht den Respekt wegnehmen, den sie uns manchmal einflössen. Aber wir können eine achtsame Haltung entwickeln, die uns anfangen etwas weniger schwer erscheinen lässt. Hier haben wir 4 Gedanken für dich, die deinen Kopf für frische Perspektiven öffnen können.

1. Entwickle realistische Erwartungen

Nimm dir doch mal die Reflexionsfragen von eben vor und ein paar Minuten Zeit. Was passiert in dir, wenn du über deine Erwartungen nachdenkst? Hast du vielleicht Angst dich komplett zu blamieren, wenn du im Tanzkurs eher rumstolperst, als dich grazil zu bewegen? Oder erwartest du die erste Stunde voller Vorfreude? Eventuell auch beides? Lernen wir unsere Erwartungen ganz ohne Bewertung kennen, können wir sie auch besser einordnen. Wo sitzen sie auf dem Spektrum zwischen realistisch und unrealistisch? Was kann schlussendlich passieren? Dabei können dich auch deine Liebsten unterstützen. Die Reflexion zusammen oder auch mit dir selbst, kann dir helfen deine Perspektive zu erweitern und realistischere Erwartungen zu setzen. So können wir dem Anfang von etwas Neuem - egal wie groß oder klein - lernen offen zu begegnen.

2. Lass deine Erwartungen ziehen

Wenn wir unsere Erwartungen kennen, so fällt es uns leichter sie ziehen zu lassen. Das ist jetzt keine buddhistische Weisheit, aber ebenso wertvoll. Wie eingangs erwähnt schützen uns Erwartungen und helfen uns bei der Vorbereitung auf potenzielle Gefahren. So schlau wie das vor ein paar tausend Jahren gewesen sein mag, so steht es uns jetzt im Weg. Je achtsamer wir mit uns und unseren Erwartungen umgehen, sie kennen- und verstehen lernen, desto leichter wird es uns fallen sie nach und nach ziehen zu lassen, vielleicht sogar aufzulösen. Damit uns das gelingt, können wir unsere individuelle Resilienz stärken, indem wir herausfinden, wie wir in die Entspannung finden und woraus wir Kraft schöpfen. Das kann unsere Community sein, auf die wir uns immer verlassen können, regelmäßige Meditation und gutes Essen oder auch Netflix, Bett und Decke. So können wir Anfängen nach und nach aus der Ruhe heraus entgegnen.

3. Lass los! Auch wenn es dir Angst macht

Was uns oftmals am Loslassen und damit am Anfangen hindert, sind die kleinen Helferchen von unrealistische Ansprüchen: Perfektion und die kritische Stimme, die uns im Ohr sitzt. Damit einem erfolgreichen Anfang nichts im Weg steht, haben wir oft das Gefühl alles kontrollieren zu müssen. Stichwort Erwartungshaltung. Die gute Nachricht: Das können wir nicht! Gut? Ja genau, das ist sogar richtig gut so. Ein gesteigertes Kontrollbedürfnis entsteht oft in uns, wenn wir uns oder unserer Umwelt nicht vertrauen. Tritt an dessen Stelle allerdings, Neugier, Offenheit und eine gestärkte innere Ruhe, schließt sich diese Lücke, in der sich vorher unsere Unsicherheit eingenistet hat. Meditation unterstützt uns dabei diese offene, unaufgeregte Haltung zu entwickeln und zu stärken, die Perfektionismus und der kritischen Stimme den Wind aus den Segeln nimmt.

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4. Betrachte Misserfolge als Chance

Rückschläge und Enttäuschungen zu erleben, kann uns entmutigen, traurig machen oder uns in unseren negativen Erwartungen bestätigen. Wir haben ja gewusst, dass uns der oder die Freund:in enttäuscht, der erste Tag auf der Arbeit eine Katastrophe wird oder das Gespräch mit unserer Beziehungsperson im Streit endet. So schlimm solche Erfahrungen auch sind, so gehören sie zum Leben dazu. Unser Umgang mit Enttäuschungen und Rückschlägen ist entscheidend darüber, wie wir dem Leben und auch Neuanfängen begegnen. Misserfolge sind in Wahrheit nämlich Wegweiser, die uns zeigen, dass Scheitern Teil jedes Anfangsprozesses ist. Scheitern, falsch machen und verfehlen ist menschlich. Genau deshalb sollten wir uns dafür nicht schämen oder uns entmutigen lassen, sondern offen sein daraus zu lernen und neue Verhaltensweisen zu entwickeln. Vielleicht haben wir sogar die Chance eine positivere und offene Denkweise zu entwickeln, die unsere Resilienz stärkt und uns Rückschläge überkommen lässt.

(Neu) anfangen ist für die allermeisten von uns immer ein kleiner Kraftakt. Egal ob es nun der Gang zum Sportkurs nach langer Pause ist oder die Angst vorm Umzug in eine neue Stadt: Schaffen wir es Anfängen die gewaltige Unerreichbarkeit zu nehmen, stellen wir vielleicht fest wie schön es auf der anderen Seite ist und wie magisch Anfänge doch sein können.


Quellen:

  1. Sozialpsychologie: Warum loslassen so schwer ist. www.spektrum.de. Accessed September 12, 2023. https://www.spektrum.de/news/neuanfaenge-warum-ist-es-so-schwer-loszulassen/1909009


Bild: Jens Johnsson via Pexels

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