Bin ich etwa hochsensibel?

Hochsensibilität: Neuzeitlicher Trend, wissenschaftlich fundiertes Phänomen oder irgendwas dazwischen? Eine Überlegung, warum wir mehr Gefühlsfreiheit im Alltag brauchen.

von Franziska Block

„Sei doch nicht so sensibel“, „reiß dich doch mal am Riemen“ oder auch „hab dich doch nicht so“ sind alles Sätze, die mich meine gesamte Kindheit begleitet haben. Ich war zugegeben sehr weinerlich. Früher wollte ich das nie so recht wahrhaben, aber rückblickend muss ich sagen, dass ich schon eine ziemliche Heulsuse war.

Wenn ich heute mal Emotionen zeige, verletzt bin oder über meine Schwächen rede, sind viele Menschen in meinem Umfeld immer sehr überrascht: „Krass, das hätte ich von dir gar nicht gedacht. Du wirkst immer so stark.“ Denn, wenn ich eins in meiner Kindheit gelernt habe, dann, mich zusammenzureißen. Vor allem negative Gefühle runterzuschlucken, denn von denen hatte ich irgendwie echt viele.

Irgendwann ist es dann ganz normal für mich geworden, die Starke zu sein. Vor anderen Menschen weinen? Unvorstellbar. Ich war die, die schon mit 18 wochenlang mit einem 75l Rucksack durch Norwegen’s Wildnis gewandert ist und mit 20 unbedingt für ein Auslandssemester nach Hongkong ziehen und aller Welt in Südostasien beweisen musste, wie unerschrocken und tapfer sie ist. Cliff Diving aus 15 Metern Höhe, Nachtwanderungen und Top Secret Dschungel-Parties. All das im Alleingang. Stark zu sein, das wurde mein Motto.

Meine ersten Meditationserfahrungen

Und dann kam die Meditation in mein Leben. Die ersten Jahre nur ab und an, ohne eine regelmäßige Praxis daraus zu entwickeln. Aber spätestens, als ich nach dem Studium beschloss, für eine Ausbildung als Yoga-Lehrerin nach Indien zu gehen, habe ich mich ganz der Meditation geöffnet. Der Anfang war schwer. Denn anders, als ich mittlerweile durch 7Mind gelernt habe, wurde ich mit 90 Minuten absoluter Stille ins kalte Wasser geworfen.

Nach einer Weile lernte ich jedoch, zu schwimmen. Das Gefühl war toll. An manchen Tagen konnte ich meinen Körper geistig so sehr verlassen, dass meine Beine nach über einer Stunde im Schneidersitz ganz taub waren und wie Spaghetti an mir herumwabbelten. Meist hat es mehr als fünf Minuten der Massage und Durchblutung gedauert, bis ich sie wieder spüren konnte. Ein weiterer Sieg, ein weiteres Zeichen meiner Stärke.

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Zurück im Alltag habe ich die Meditation zunächst wieder aus den Augen verloren. Und damit auch meine Balance. Mir war gar nicht bewusst, wie sehr mich die Phasen der inneren Beobachtung in Indien in Einklang mit mir selbst gebracht haben. Auch, wenn ich heute weiß, dass ich damals noch jede Menge „falsch“ gemacht und erzwungen habe.

Nach einer Weile fing ich an, wieder eine regelmäßige Meditationsroutine aufzubauen. Ich probierte YouTube-Videos, Klangmeditationen bei Spotify und verschiedene Meditationsapps. 7Mind gefiel mir von allen am besten und sollte fortan mein täglicher Begleiter werden, noch bevor ich anfing, hier zu arbeiten. Nach einigen Wochen täglich kurzer Meditationseinheiten von 7-10 Minuten war ich zurück in meinem Element. Zunächst. Denn nach ersten Monaten des Hochgefühls, der inneren Balance und Entspannung spürte ich, wie immer mehr Gefühle der Überforderung und Unruhe in mir hochkochten.

Das plötzliche Gefühl, die Kontrolle zu verlieren

Ich merkte, wie ich im Alltag plötzlich immer unsicherer wurde. Einst die Starke, der die Meinung anderer egal war, fing ich plötzlich an, mir Gedanken um das Bild, das ich bei anderen hinterließ, zu machen. An stressigen Tagen hatte ich abends plötzlich keine Energie mehr, um meine Freunde zu sehen oder Sport zu machen. In den täglichen Meetingrunden bei der Arbeit war ich plötzlich nervös, wenn ich in 30 Sekunden allen im Team erklären sollte, was ich den Arbeitstag über gemacht hatte. Wenn meine Kollegen schlecht drauf waren, merkte ich, wie ich mich in den Strudel negativer Energie mitreißen ließ. In der Bahn wurde mir alles zu laut.

Die schreienden Kinder, die Obdachlosen, die Straßenmusiker, Menschen am Telefon und Durchsagen am Bahnsteig. Ein einziger Geräuschebrei, der ununterbrochen auf mich einwirkte. Manchmal musste ich eine oder zwei Stationen früher aussteigen und den Rest laufen. Bei der Arbeit brachten mich die Gespräche der Kollegen oder das Müsli meines Tischnachbars komplett aus dem Konzept - trotz Noise Cancelling Kopfhörer.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Da arbeitete ich für ein Achtsamkeitsunternehmen, schrieb tagtäglich über die positiven Auswirkungen der Meditation auf Körper und Geist und erlebte gleichzeitig, wie ich selbst die Kontrolle über mich und meinen Körper verlor, trotz täglicher Achtsamkeitsübungen und einer Menge Know-How.

Und dann bin ich auf das Thema Hochsensibilität gestoßen. An einem Wochenende, als mich ein Obdachloser, der sich vor mir in der Bahn eingenässt hat, so sehr aus dem Konzept gebracht hat, dass ich den ganzen Tag vor Traurigkeit und Mitgefühl nichts auf die Reihe bekommen habe. Ein paar gehörte Podcastfolgen und gelesene Blogbeiträge später rauschten mir die Ohren und mein Herz flatterte, dieses Mal jedoch aus Hochgefühlen: Denn das, was ich dort las, all die Berichte und Erzählungen derjeniger, die sich als hochsensibel „geoutet“ haben, sprachen mir aus dem Herzen.

Da war mein unglaublicher Freiheits- und Autonomiedrang, der mir bislang jede Beziehung erschwert hat. Mein Querdenkergeist, der in keine Unternehmenswelt zu passen scheint. Die Lichtempfindlichkeit, mein Elefantengedächtnis, das wirklich niemals irgendetwas vergisst, all die Emotionen, die mich mein Leben lang schon überrollt haben und die ich irgendwann zu unterdrücken gelernt habe. Meine Neigung zur Selbstkritik und zum Perfektionismus. Mein Gerechtigkeitssinn und die starke Werteorientierung.

Wie stark mich Koffein und Alkohol schon immer beeinflusst haben, was mir die meisten Menschen in meinem Umfeld nie abkaufen wollten. Dass ich einfach keine kratzigen Wollpullover tragen kann, ohne sie mir direkt wieder vom Leib reißen zu wollen. Dass Entscheidungen schon immer mein größter Gegner im Leben waren und mir so manche schlaflosen Nächte bereitet haben.

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Zurück zu mir selbst Dank Meditation

Die Liste ist lang, ich könnte sie jetzt noch beliebig fortführen. Worum es mir aber viel mehr geht, ist, dass ich mittlerweile fest davon überzeugt bin, dass mich die Meditation zurück zu mir selbst gebracht hat. Geholfen hat, meine starke Mauer zu durchbrechen und Gefühle und Wahrnehmungen wieder stärker zuzulassen - egal ob positiv oder negativ. Mir gezeigt hat, dass ich jahrelang eine Rolle gespielt habe, die nicht meine ist.

Eine Maske aufgesetzt habe, die sich irgendwann wie meine eigene Haut angefühlt hat, es aber nie war. Durch die Meditation habe ich gelernt, all das loszulassen und mich für mich selbst zu öffnen. Meditation war der Schlüssel auf dem Weg zurück zu mir selbst, in all meinen Facetten und Emotionen.

Mittlerweile habe ich mich darauf eingestellt, dass manche Meditationseinheiten mich auch mal aufwühlen, weil sie mich in Verbindung mit meinen Erinnerungen, Empfindungen und der Wahrnehmung meines Umfelds bringen. Ich bin gewappnet und lasse es passieren. Bin neugierig, wie es mir geht, wie ich Dinge aufnehme und was jeder Tag so mit mir anstellt.

Ein Plädoyer für mehr Sensibilität

Ob man es letztendlich als Hochsensibilität bezeichnen mag oder nicht ist mir dabei relativ egal. Ob es wissenschaftlich fundiert oder nur ein populärwissenschaftliches Phänomen ist, juckt mich nicht. Mir persönlich hilft es, ein Wort für all das zu haben, mich selbst besser zu verstehen und vor allem zu akzeptieren. Es hilft mir, Frieden mit mir selbst zu schließen. All die Berichte derjenigen, die in der heutigen starken Welt zu ihren Schwächen und Emotionen stehen, sollten deswegen gehört werden. Egal, ob man es nun als Hochsensibilität tituliert oder nicht.

Ich finde es einfach gut, wenn ein Raum für Diskussion geschaffen wird, in dem man selbst, aber auch andere einfach mal empfindlich sein dürfen. Ein Raum, in dem Sensibilität eine Stärke und keine Schwäche ist. Wenn man auch mal bei der Arbeit weint, wenn alles zu viel wird, oder einen Tag lang aus dem Homeoffice arbeiten kann ohne schlechtes Gewissen. Oder eine Verabredung spontan absagen kann, weil man sich einfach nicht gut fühlt und nicht, weil das eben so die Krux der Digitalisierung und mobilen Kommunikation ist.

In einer Welt, die im Zuge der Globalisierung immer stärker zusammenwächst und doch immer größere Kluften aufwirft, Menschen und Gemüter spaltet und Kriege an jeder Straßenecke lauern brauchen wir nicht noch mehr Mauern, auch keine emotionalen. Wir sollten weder uns selbst und unsere Gefühle, noch einander bekriegen.

Manchmal finde ich es schade, wie schnell ein Thema in der Luft zerrissen wird, nur weil es zum Trend wird oder nicht genügend wissenschaftliche Studien vorliegen. Denn genau das passiert gerade mit dem Wort Hochsensibilität. Meiner Meinung nach kann gar nicht genug über das Thema gesprochen werden, weil es zeigt, wie natürlich und menschlich Schwäche und Emotionen sind. Niemand ist 24/7 stark. Jeder hat mal einen Tiefpunkt, traurige Momente oder spürt Unsicherheit. Wäre es nicht schön, wenn wir einfach Frieden damit schließen und akzeptieren, dass das zum Menschsein genauso dazugehört wie alles andere? Und stattdessen anfangen, Verständnis für die Launen und Gefühle unserer Mitmenschen, aber vor allem auch unsere eigenen zu haben.

Die Podcastfolge zum Impuls der Woche:

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Bild: Daniel Schaffer auf Unsplash

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