Hast du noch oder bist du schon? Über Haben-Modus und Glück

Warum wollen wir besitzen und was macht Eigentum mit uns? Macht Besitz glücklich? Und was ist die Alternative zu Besitz? Ein Blick auf die Gesellschaft und in unseren Kopf.

von Daniela Obers

Vom Haben und vom Sein

Die Aufräumerin Vera Jansen-Cornette hat es vor wenigen Wochen im Podcastinterview mit René festgestellt: Die meisten von uns besitzen wirklich viel. Viel Kram. Und der macht etwas mit uns. Was genau? Heute wollen wir uns das Konzept des Kaufens und Besitzens mal ein wenig genauer anschauen. Warum wollen wir besitzen und was? Was macht Eigentum mit unserer Zufriedenheit? Was ist die Alternative zu dem Gedanken des Haben-Wollens?

Das Haben im Kapitalismus

Fragen über Fragen. Fangen wir vorne an. Genauer gesagt spulen wir ins Jahr 1976 zurück. Erich Fromm veröffentlicht sein Buch “Vom Haben und Sein”. Der Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe beschreibt die Gesellschaft, in der er lebt, als eine, die sich durch Besitz definiert. Warum das so sei? Grundlegend verweist er dabei auf den Kapitalismus. Im Kapitalismus geht es um Besitz; um das, was wir haben. Denn wir sind, was wir haben. Und dieser Besitz soll bitteschön auch stetig mehr werden. Es geht um Eigentum und Wachstum.

Fromm beschreibt das Leben in der Besitz-Perspektive als den Haben-Modus. Der eigene Wert wird durch das definiert, was man hat, durch den materiellen Besitz: Haus, Auto, teure Kleidung und so weiter. Um das beibehalten und steigern zu können, ist der gut bezahlte Job das A und O. Spätestens an diesem Punkt beginnt Eigentum, unfrei zu machen. Koppelt man die eigene Identität nicht an das, was man ist, sondern an das, was man hat, beschreibt ein möglicher Verlust dessen, was wir haben, den Verlust der eigenen Identität. Ein Leben im Haben-Modus.

Mehr noch: Um sicherzustellen, dass unser Wert gleichbleibend hoch ist, kommen wir natürlich auch nicht umhin, uns zu vergleichen. Hat der Nachbar mehr? Wird der Kollege vor mir befördert? Klingt nicht nach dem zufriedenen Leben.

Der neue Haben-Modus

Wir erinnern uns, Fromm beschrieb die Gesellschaft von 1976. Leben wir nach wie vor im Haben-Modus? Rainer Funk von der internationalen Erich Fromm Gesellschaft sagt dazu: “Der große Unterschied ist heute, dass wir in der Regel gar nicht mehr so auf solche Konsumgüter abfahren, sondern es uns sehr viel mehr darum geht, dass wir Recht haben, dass wir die Wahrheit haben, dass wir Verbindungen haben, dass wir ein gutes Image haben. Also es sind andere Gegenstände und nicht mehr so die Konsumgüter.”

Wir definieren uns heute also nicht mehr so stark durch materiellen Besitz. Die Identität wird aber nach wie vor im Haben-Modus gelebt. Wir haben eine Beziehung, wie haben ein Netzwerk. Spätestens durch die Sache mit den sozialen Medien klappt es auch mit dem Vergleichen noch besser. Reichweite und Followeranzahl machen das Vergleichen leichter denn je. Und als Vergleichsbasis biete ich, was ich zeigen möchte. Shiny Filter, perfekter Moment – ob inszeniert oder nicht – geht als Insta Story raus.

Aber was ist das Gegenmodell? Was steht dem Haben-Modus gegenüber? Erich Fromm nennt es den Sein-Modus. Unsere Identität wird nicht dadurch beschrieben, was wir haben, sondern durch das, was wir sind. Das Sein ist unser Charakter, unsere Werte, unser Erleben. Das Sein erlebt, das Sein ist und vor allem ist es komplett, wie es ist. Dieser Modus beschreibt viele Komponenten eines achtsamen Lebens – dem Sein im Hier und Jetzt.

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Haben oder Sein – Was macht uns glücklicher?

Erleben vor Besitzen: Macht uns das wirklich glücklicher? Ich muss selbst zugeben, ein bisschen Shopping macht mich ab und an doch schon glücklich. Egal, ob ich brauche, was ich da kaufe. Der Gedanke, es zu haben, macht mich glücklich. Zu den Auswirkungen auf die Zufriedenheit bei Kauf von Dingen versus Erleben wurden im Bereich der positiven Psychologie verschiedene Studien durchgeführt. Meinem Online-Warenkorb gefallen diese Ergebnisse nicht wirklich.

Dinge machen uns nicht langfristig zufrieden.

Warum? Weil sie bleiben. Und zwar genauso wie sie sind. Wir freuen uns beim Kauf über dieses neue Paar Schuhe, gewöhnen uns aber recht schnell daran, dass das nun im Schuhschrank neben unseren anderen Schuhen steht. Diese sogenannte hedonistische Tretmühle, lässt uns nach dem Kauf von Dingen recht schnell wieder auf das Grundlevel der Zufriedenheit herabsinken. Und das gilt nicht nur für “Kleinigkeiten” wie Schuhe. Die Psychologen Philip Brickman, Dan Coates und Ronnie Bulman zeigten 1978 in einer Studie, das 22 Lottogewinner nach einem Jahr nicht glücklicher waren als die 22 Vergleichspersonen. Sie kehrten nach dem kurzen Hoch wieder zum Normallevel der Zufriedenheit zurück. Die Wissenschaft erklärt diese Rückkehr zum Normallevel als Schutzmechanismus unseres Gehirns. Bei einem emotionalen Höhenflug werden wir unachtsam für das, was um uns herum passiert. Ein Nebenwirkung, die bei der steinzeitlichen Jagd tödlich enden konnte.

Erlebnisse machen uns glücklicher als Dinge.

Denn: Wir laufen nicht Gefahr, uns an sie zu gewöhnen. US-Psychologe Dan Gilbert beschreibt das neu gekaufte Auto als eine vorprogrammierte Quelle der Enttäuschung. Einfach, weil es bleibt und wir uns an das Auto gewöhnen. Ein Trip nach Europa allerdings ist irgendwann vorüber. Ein Erlebnis vergeht und lässt uns mit den schönen Erinnerungen zurück. Haben-Modus versus Sein-Modus. Aber macht uns das Erlebnis auch tatsächlich glücklicher, als der Kauf?

Van Boven und Gilovich wiesen in einer Studie nach, dass das Erlebnis währenddessen und in retrospektive stärker dazu beiträgt, uns glücklich zu machen, als das Kaufen und Besitzen von Dingen. Auch im Nachhinein erachten wir unser Geld in Erlebnisse als besser investiert. Dies wiesen sie zudem für niedrige und hohe Einkommensschichten nach. Das Erlebnis macht uns immer glücklicher als der Besitz, auch wenn der Unterschied mit steigendem Einkommen größer wird.

Amit Kumar und weitere Forschende stellten 2014 in einer Studie fest, dass wir schon vor dem Kauf bzw. dem Erleben unterschiedlich glücklich sind. Genauer gesagt: Vor dem Kauf von Dingen sind wir eher ungeduldig, vor einem Erlebnis allerdings spüren wir wahre Vorfreude und sind glücklicher.

1:0 für den Sein-Modus, er macht uns erwiesenermaßen glücklicher.

Der Sein-Modus und unsere Gesellschaft

Wir leben heute in einer Zeit, in der uns das Besitz-Streben z. B. in der Politik nach Aufdeckung einiger Korruptions-Affären nicht deutlicher vor Augen geführt werden könnte. Zudem sehen wir die Auswirkungen des Kapitalismus par excellence in einer globalen Ungleichverteilung von Impfstoff – nämlich reich vor arm. Es ist in gewisser Weise faszinierend. Wir wollen doch ein zufriedenes und glückliches Leben führen. Zahlreiche Studien zeigen uns seit fast einem halben Jahrhundert, dass es nicht der Haben-Modus ist, der uns glücklich macht.

Die Wirtschaft des Tauschens und Teilens

Es gibt Entwicklungen und Strömungen, die den Sein-Modus weiter in den Vordergrund rücken. Der Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin ist überzeugt, dass die neue Wirtschaft des Tauschens und Teilens - die sharing economy - dem Kapitalismus, wie wir ihn kennen und vielfach leben, gehörig einheizen und ihn möglicherweise sogar stürzen wird. Er prognostiziert, dass wir in einer sozialeren Weltgemeinschaft leben werden. Wenn wir uns Besitz teilen, wie beispielsweise im Falle von Autos, und diese nicht mehr besitzen wollen, kommen wir dem Sein-Modus ein ganzes Stück näher.

Ist die sharing economy denn tatsächlich auf dem Vormarsch? Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung PwC hat in Deutschland bereits mehr als jeder zweite Bürger ein sharing Angebot genutzt, 70% nehmen die Angebote positiver wahr, als die Angebote herkömmlicher Unternehmen. Dass wir lieber teilen statt zu besitzen, zeigte auch die Altruismusforscherin Sabine Tebbich. Sie stellte fest, dass sowohl Affen als auch Kleinkinder von Natur aus helfen und teilen, auch wenn sie keine direkte Gegenleistung erwarten können. Auch Ökonomen stellten fest, dass Menschen in Krisenzeiten eher zum Teilen neigen.

Ein Weg zum echten Sein-Modus?

Wir wollen also teilen und das ist gut. Nichtsdestotrotz schleicht sich der Kapitalismus, mal mit mehr, mal mit weniger Getöse auch in gut gemeinte sharing Modelle. Ausbeutung von Uber-Fahrern, knapper, überteuerter Wohnraum in Großstädten mit einer Mitschuld von AirBnB beispielsweise. Kapitalismus mit Deckmäntelchen. Mit der sharing economy kann aber sehr wohl echter Mehrwert entstehen. Plattfomen wie nebenan.de bringt uns Menschen zusammen, wenn dir deine Nachbarin beispielsweise ihre Bohrmaschine leiht. Es gibt diese Strömungen in unsere Gesellschaft, die tatsächlich den sozialen Reichtum bringen (können).

Auch die Tatsache, dass sich Achtsamkeit und Meditation in der westlichen, kapitalistisch geprägteren Welt immer weiter verbreiten, unterstützt den Weg hin zum Sein-Modus. Achtsamkeit lehrt uns unter anderem, den Moment zu schätzen, uns durch Mitgefühl mit unseren Mitmenschen zu verbinden und zu reflektieren, was uns glücklich macht. Und glücklich macht, was ist und nicht, was wir haben.

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Die Podcastfolge zum Artikel:


Bild: Nina Uhlíková auf Pexels

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