Gut für die Seele: Guilty Pleasures

Jeder hat sie, keiner will sie, und viel zu oft gehen sie mit Schuldgefühlen Hand in Hand: Unsere Laster. Echtes Vergnügen oder schlechte Gewohnheit? So findest du heraus, was dir wirklich gut tut.

von Alexandra Gojowy

Vergnügen und Gewissensbisse gehören oft untrennbar zusammen. Viele Laster würden wir am liebsten verstecken und gehen ihnen nur heimlich nach. Andere sind gesellschaftlich vollkommen akzeptiert. Das Feierabendbier, die Trostschokolade oder lustvolles Shoppen trotz vollem Kleiderschrank. Jedem von uns fällt sicherlich eine Angewohnheit ein, für die wir uns ein bisschen schlecht fühlen. Oft müssten wir das aber gar nicht!

Der feine Unterschied liegt darin, ob wir dem Laster aus reiner Freude nachgehen oder damit etwas kompensieren möchten, das wir eigentlich besser direkt angehen sollten. Ein Blick nach innen kann die Antwort geben.

Gutes Laster, schlechtes Laster

Verstohlen sehe ich mich um. Erst nachdem ich mich vergewissert habe, dass ich weder den Autofahrer neben mir, noch die wartenden Fußgänger persönlich kenne, drehe ich das Radio lauter. “Is it too late now to say sorry?” singe ich mit schmerzverzerrtem Gesicht und trete auf das Gaspedal. In den nächsten drei Minuten schmachte ich meinen imaginären Beifahrer an und werfe Luftküsse in den Rückspiegel. Bieber Fieber ist ein Vergnügen, dem ich nur in absoluter Einsamkeit fröne. Ich erinnere mich allerdings an die Facebook Nachricht, die ich kurz nach Erscheinen des Songs an eine Freundin verschickte: “Nur für dich: mein guilty pleasure song zum Wochenende”.

Sängerin Alecia Moore, alias PINK, hat es einst so schön auf den Punkt gebracht: “Why guilty pleasures? I don’t feel guilty about any of my pleasures”. Recht hat sie, denn zu oft fühlen wir uns mies wegen Dingen, die wir eigentlich genießen. Das schlechte Gewissen begründet sich dabei selten durch die Natur der Sache, sondern eher durch die Sorge, was wohl das Umfeld davon halten würde. Justin Bieber ist bei vielen meiner Freunde verpönt, und auch ich habe abwertend gelächelt, als mir kürzlich jemand seine Leidenschaft für die TV-Serie “Der Bachelor” gestand. Dabei fühle ich mich selbst manchmal ziemlich uncool, wenn sich bei mir Medienkonsum und heimliches Teenagerdasein zu sehr annähern. Irgendwie sind in meinem Umfeld Elektromusik und Serien, in denen es primär um Gewalt und Sex geht, inzwischen eher akzeptierter “Mainstream” als die vermeintlich mainstreamige Popkultur.

Laster kommen in allen Farben und Formen. Jeder hat mindestens eines davon, und Musik hören gehört sicherlich nicht zu den schädlichsten Angewohnheiten. Was für mich vermeintlich peinliche Sänger sind, kann für andere Schokolade, die Zigarette oder das 23. Paar Schuhe sein. In welchen Momenten erachten wir unsere Laster eigentlich für notwendig?

Es ist interessant, sich dabei zu beobachten, wann man einem bestimmten Verhalten besonders gerne nachgehen möchte. Denn Laster zeigen sich oft in Momenten, in denen wir sehr emotional sind. Ob Stress oder Glücksgefühl, das Laster wird dann zum Ventil. Gerade, wenn dem ganzen eher negative Emotionen zugrunde liegen, lohnt es sich, diesen Unterschied zu erkennen. Ob man einfach nur voll und ganz genießt oder etwas kompensiert, kann man durch Selbstreflexion und Sensibilität für die eigenen Bedürfnisse herausfinden.

Vergnügen oder verdrängen?

Jeder kennt die leeren Blicke in den Küchenschrank. Wenn man gedankenverloren alle Schubladen öffnet, ohne genau zu wissen, wonach man eigentlich sucht. In diesen Momenten ist der Übeltäter leicht identifiziert: Langeweile. Wer hat nicht schonmal sinnlos durch's Trash TV gezappt, um Zeit tot zu schlagen, oder drei Scheiben Nutellatoast verdrückt, um zwischen zwei Folgen “Gilmore Girls” wenigstens kurz die Couch zu verlassen.

Essen, ebenso wie rauchen und shoppen, sind wunderbare Methoden, um zu prokrastinieren. Vor allem, wenn man seine Aufmerksamkeit eigentlich auf etwas anderes lenken sollte. Klar, der Gang in den Klamottenladen schafft Ablenkung und lässt Stress und innere Unruhe temporär abklingen. Vor allem ungeliebte Aufgaben oder Deadlines schiebt man so nur zu gerne nach hinten. Die Bachelorarbeit, die Steuererklärung, Überweisungen. Was sich in diesen Fällen hinter der Ablenkungsmethode verbirgt, ist oft das eigene Gewissen, das ganz laut “Get things done!” schreit. In diesen Momenten lohnt sich folgende Frage: Wenn ich keine neuen Sneaker, Bier oder Kaffee kaufen könnte, was würde ich dann tun?

Dem Bedürfnis auf der Spur

Wie findet man nun heraus, ob man sein liebstes Laster gerade wirklich genießt oder doch nur zweckentfremdet? Ein einfacher Trick ist, ein paar Minuten an die frische Luft zu gehen und einfach nur wahrzunehmen und durchzuatmen. Anschließend kann man neu bewerten, welches Bedürfnis gerade wirklich gehört werden möchte. Vielleicht hat man gar nicht wirklich Lust auf Bingewatching, sondern sollte eine bestimmte Aufgabe einfach erledigen oder ein klärendes Gespräch suchen. Manchmal ist es sogar besser, sich einer bestimmten Situation komplett zu entziehen und den Kopf freizumachen.

Aber ganz wichtig: Wenn das Laster nicht benutzt wird, um unangenehme Gefühle zu überdecken oder von ungeliebten Aufgaben abzulenken, muss man sich auch nicht schlecht fühlen. Was dann bleibt, ist der reine Genuss. Und ordentliches Vergnügen braucht jeder ab und zu.

Also ob du nun gerne zu viel Kaffee trinkst, “peinliche” Serien schaust oder dir vor dem Einschlafen gerne mal einen Becher Ben & Jerry's gönnst – Laster bedeuten zu leben. Statt sich alles zu verbieten oder sich ständig Sorgen zu machen, ob das eigene Vergnügen moralisch und gesundheitlich vertretbar ist, sollte man lernen, die eigenen Bedürfnisse zu verstehen und dann auch mit allen Sinnen zu genießen.

Es gibt Momente für Disziplin und Momente, in denen sich lockerlassen einfach besser anfühlt. Genau dann sind Laster nicht nur menschlich, sondern vor allem gut für die Lebensfreude.

Achtsamkeitsimpuls

Erhalte unsere neuesten Artikel, Achtsamkeitsimpulse und Angebote in unserem monatlichen Newsletter!

*Pflichtfelder

7Mind wirkt positiv. Erfahre mehr.