Science Snack: Facetten der Achtsamkeit

Der Begriff Achtsamkeit findet immer mehr Gebrauch. Doch wie wird sie definiert? Im Science Snack liest du, wie Achtsamkeit wissenschaftlich gemessen wird und wie du sie trainieren kannst.

Von Siri Frericks

Science Snack #5: Die Facetten der Achtsamkeit


Warum es sich lohnt, Achtsamkeit zu trainieren

Was wir unter Achtsamkeit verstehen, kann ganz unterschiedlich sein und hängt von den verschiedensten Dingen ab. Vielleicht davon, welche Erfahrungen wir selbst schon sammeln konnten oder davon, in welcher sozialen Bubble wir uns bewegen. Deshalb lade ich dich heute ein, in das (psychologische) wissenschaftliche Verständnis von Achtsamkeit einzutauchen. In diesem Science Snack geht es um Definitionen von Achtsamkeit und darum, wie sie in der Forschung gemessen wird. Außerdem kannst du etwas über die zwei wesentlichen Wege, Achtsamkeit zu üben, erfahren. Und darüber, wie diese Wege deine mentale Gesundheit und dein Wohlbefinden fördern können.

55 Jahre Achtsamkeitsforschung

Achtsamkeit ist in den letzten Jahrzehnten geboomed und hat sich inzwischen zu einem ausgewachsenen Buzzword entwickelt. Im Sommer 2021 ist eine Analyse von Forscher:innen aus Sri Lanka erschienen, die einen Blick auf die letzten 55 Jahre der Achtsamkeitsforschung geworfen haben. Laut ihrer Recherche wurden seit 1966 über 16.581 Studien zu dem Thema veröffentlicht. Seit 2006 wächst die Anzahl der Artikel exponentiell. Zu Beginn standen eher spirituelle Themen im Fokus. Inzwischen gilt das größte Interesse den Mechanismen und Einflüssen der Achtsamkeit sowie Langzeit-Meditierenden, neurowissenschaftlichen Zusammenhängen und der Erforschung von digitalen Achtsamkeitsprogrammen.

Was ist die Philosophie hinter Achtsamkeit?

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Wie wird Achtsamkeit in der Forschung verstanden - die fünf Facetten

Jon Kabat-Zinn (Molekularbiologe & Gründer der Mindfulness-based Stress Reduction; MBSR), der mit seinem Team einen bedeutsamen Einfluss auf die moderne Achtsamkeit im Westen hat, definiert Achtsamkeit als "das Gewahrsein, das entsteht, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Weise ausrichten: absichtslos, im gegenwärtigen Moment und nicht wertend.” Wie das funktioniert? “Die Grundhaltung der Achtsamkeitspraxis ist sanft, akzeptierend und nährend. Man könnte sie auch als „leben aus dem Herzen heraus“ beschreiben.” Diese Zitat ist sehr bildlich und verdeutlich auf eine gut verständliche Weise, wie ein achtsames Leben aussehen kann.

Um die Wirkung und die Mechanismen der Achtsamkeit besser zu verstehen, hat die Psychologin Ruth Baer und ihr Team von der University of Kentucky einen Selbstbeurteilungsfragebogen entwickelt. Von 2004 bis 2008 veröffentlichten sie mehrere Studien, in denen sie der Frage nachgingen, wie Achtsamkeit verlässlich gemessen werden kann. Daraus entstand das Five Facets of Mindfulness Questionnaire (FFMQ). Ein heute populärer, vielfach übersetzter Fragebogen, der Achtsamkeit auf fünf verschiedenen Skalen erfasst: Beobachten, Beschreiben, Nichtreaktivität, Akzeptieren ohne Bewertung und mit Aufmerksamkeit handeln.

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Diese fünf Skalen ermöglichen es also, wenn sie zusammengefasst werden, Achtsamkeit zu erfassen. Das ist vor allem für Studien hilfreich, in denen die Zusammenhänge von Achtsamkeit – oder einzelnen Facetten – zu anderen Konstrukten erforscht werden. Damit du ein noch besseres Bild davon bekommst, wie solche Fragen klingen können, hier ein paar Beispiele für die jeweiligen Aspekte:

Beobachten:

  • Ich achte auf Empfindungen, wie zum Beispiel Wind in meinem Haar oder Sonnenschein auf meinem Gesicht.

  • Ich nehme Gerüche und Düfte der Dinge wahr.

  • Ich bemerke visuelle Elemente, sowohl in der Kunst als auch in der Natur, zum Beispiel Farben, Formen, Strukturen oder Muster aus Licht und Schatten.

Beschreiben:

  • Ich habe Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden, um meine Gefühle auszudrücken.

  • Ich kann meine Gefühle gut in Worte fassen.

  • Es fällt mir schwer, das, was ich denke, in Worte zu fassen.

Nichtreaktivität:

  • Wenn ich belastende Gedanken oder Vorstellungen habe, kann ich sie einfach nur wahrnehmen, ohne auf sie zu reagieren.

  • Wenn ich belastende Gedanken oder Vorstellungen habe, kann ich von diesen Abstand nehmen und bin mir der Gedanken oder Vorstellungen bewusst, ohne dass ich von ihnen überwältigt werde.

  • Wenn ich belastende Gedanken oder Vorstellungen habe, registriere ich sie nur und lasse sie wieder ziehen.

Akzeptieren ohne Bewertung:

  • Ich sage mir, dass ich nicht so denken sollte, wie ich denke.

  • Ich denke, dass manche meiner Gefühle schlecht oder unangebracht sind und, dass ich sie nicht haben sollte.

  • Ich urteile darüber, ob meine Gedanken gut oder schlecht sind.

Mit Aufmerksamkeit Handeln:

  • Ich achte nicht darauf, was ich tue, dass ich tagträume, mir Sorgen mache oder anderweitig abgelenkt bin.

  • Ich finde es schwierig, auf das konzentriert zu bleiben, was im gegenwärtigen Augenblick passiert.

  • Wenn ich etwas tue, dann schweifen meine Gedanken ab und ich bin leicht abzulenken.

Eine internationale Forschungsgruppe hat sich die Frage gestellt, wie diese Aspekte in Beziehung zueinander stehen. Dazu haben sie 2021 eine Studie veröffentlicht, an der 1704 Personen teilgenommen haben. Diese zeigt, dass die Komponente Mit Aufmerksamkeit Handeln eine besonders wichtige Rolle im Netzwerk der Achtsamkeitsfacetten spielt.

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Dieses Netzwerkmodell verdeutlicht die Zusammenhänge der Aspekte. Je dicker die Linie, desto wesentlicher die Korrelation. Dabei stehen die blau-grünlichen Linien für einen positiven Zusammenhang und die rote Linie für einen negativen. Inzwischen werden auch immer mehr Studien veröffentlicht, die sich auf eine Facette fokussieren. So kann differenziert werden. Denn für einige Herausforderungen ist der nicht-bewertende Akzeptanz vielleicht besonders hilfreich, während andere Situationen eine besondere Beobachtungsgabe erfordern.

Achtsamkeit stärken

Jetzt, wo du einen Einblick in das Messen und Forschen gewonnen hast, kommt vielleicht die Frage auf, wie wir unsere Achtsamkeit denn fördern können. Dafür gibt es zwei Wege: informelle und formelle Achtsamkeit.

Informelle Achtsamkeit

Die informelle Achtsamkeit braucht keinen Extratermin im Kalender. Wir bauen sie einfach in den Alltag mit ein. Zum Beispiel beim Duschen, Abspülen, Gehen, Warten oder Essen. Hier geht es also nicht darum, was wir machen, sondern vor allem um das Wie. Die Forschung zu informellen Achtsamkeitsübungen steht aktuell noch am Anfang. Im Jahr 2020 ist allerdings eine interessante französische Studie zu dem Thema veröffentlicht worden. Die Forscher:innen fragten sich, ob die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden auch durch informelle Achtsamkeitspraxis gefördert werden können. Dazu lernten einige der 139 Teilnehmenden acht Mal für je zwei Stunden pro Woche etwas über solche Übungen und praktizierten sie in diesem Zeitraum in ihrem Alltag. Die anderen taten nichts und bildeten so die Kontrollgruppe. Sie beantworteten zu Beginn, am Ende und zweieinhalb Monate später verschiedene Fragebögen. Darin ging es um Stress, Ängste, Depressionen, ihre Lebenszufriedenheit und um Achtsamkeit. Außerdem schrieben sie täglich in ihr Praxis-Tagebuch und hielten so ihre Übungen für die Forschenden fest.

Nach dem Übungszeitraum waren diejenigen, die informelle Achtsamkeit geübt hatten, signifikant weniger gestresst, ängstlich und depressiv. Ihre Lebenszufriedenheit war indessen angestiegen. All diese Veränderungen konnten vollständig durch die angestiegene Achtsamkeit erklärt werden und hielten auch zweieinhalb Monate später noch an.

Formelle Achtsamkeit

Wenn Wissenschaftler:innen von formeller Achtsamkeit sprechen, meinen sie damit verschiedene Techniken der Achtsamkeitsmeditation. Hier geht es also um eine Praxis, die meist im Sitzen oder vielleicht auch im Liegen durchgeführt wird. Die bekanntesten sind Übungen zur Atemachtsamkeit oder der Bodyscan. Da es in diesem Feld wahnsinnig viele Studie gibt, habe ich eine Meta-Analyse (2021) rausgesucht. Die niederländischen Forscher:innen haben darin 97 Studien gesammelt, die digitale Achtsamkeitsprogramme untersucht haben. Der Fokus lag auch hier besonders auf Veränderungen in der mentalen Gesundheit. Insgesamt sind Daten von 17.464 Teilnehmenden in die Analysen eingeflossen. Es zeigt sich, dass digitale Achtsamkeitsprogramme depressive Symptome, Stress und Angst mindern. Sie waren besonders wirksam im Umgang mit Stress, wenn geführte Meditationen angeboten wurden. Die Forschenden kommen zu dem Fazit, dass digitale Achtsamkeitsprogramme boomen und dass sie hilfreich sein können, um die mentale Gesundheit eines breiten Bevölkerungsspektrums zu fördern.

Wie stärkst du deine Achtsamkeit am liebsten? Formell oder informell? Oder beides? Und hast du vielleicht auch schon Veränderungen an deiner mentalen Gesundheit oder deinem Wohlbefinden festgestellt?


Über unsere Science Snacks: Unsere Psycholog:innen von 7Mind versorgen uns im Format "Science Snack" regelmäßig mit den neuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft, rund um Psychologie, Achtsamkeit und Meditation. Alle Science Snacks findest du hier.

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