Gesundheitswahn: Was steckt dahinter?

Gesundheitstrends, Workout-Routinen und Co. Viele Seiten präsentieren uns, was es heißt gesund zu leben, gesund zu sein. Wo allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen Gesundheit und Exzess? Gedanken aus Wissenschaft und Co.

Luzie Seidel

Ist Gesundheit der neue Trend?

Gesundheit, die “Religion unserer Zeit”, wie die Wissenschaftler Philipson und Uddenberg einst pointiert sagten, reflektiert die gesellschaftlich zunehmende Obsession mit Gesundheit (1). Wenn wir von Gesundheit sprechen, bilden sich bei vielen von uns Idealbilder von durchtrainierten Körpern, perfekten Meal-prep Routinen und ästhetischen Social-Media Feeds im Kopf. Das Stichwort perfekt ist hier ausschlaggebend. Denn bei den Superfood, That-girl und HIIT Workout-Routinen geht es um eins: Durch Selbstoptimierung bis ins Unermessliche den perfekten Zustand von Gesundheit zu erreichen. Was dabei oft fehlt, ist der Bezug zur Realität. Denn was auf den ersten Blick gesund erscheint, kann bei einem kritischen Blick hinter die Fassade schnell zerbröckeln.

Wann wird Gesundheit zu viel und kippt in die Obsession mit der eigenen Gesundheit? Und wie können wir eine Balance erreichen, die Körper und Geist wirklich gut tut?

Gesundheit: Ein Begriff, viele Definitionen

Schauen wir uns zunächst an, wie sich Gesundheit definiert und was hinter dem reißerischen Begriff “Gesundheitswahn” steckt. Dazu ist es ratsam, das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.

Die WHO definierte 1946 den Begriff Gesundheit als “Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen”(2). Diese Erklärung lässt Gesundheit als etwas sehr statisches erscheinen und zeichnet einen Zustand, der weder wirklich lebensnah ist, noch der Realität entspricht.

Eine weitere Definition erweitert die Vorstellung eines gesunden Lebens(stils) wie folgt: “Leading a good, healthy life is connected to certain ‘qualities of character or personality believed to support healthy behaviors’” (3). Gesellschaftlich werden also einige Dinge als (eher) gesund und ungesund kategorisiert, welche wir uns dann häufig als Vorbild für eine gesunde Lebensweise nehmen. Das können Alkohol und Rauchen als Inbegriff von ungesund sein oder eben Chiasamen, Salat und 4 mal die Woche Sport als gesund. Das ist erstmal nicht verwerflich. Dennoch ist es immer ratsam, Vorstellungen zu hinterfragen und für sich selbst einzuordnen.

Der bisher wohl achtsamste Versuch einen Rahmen für Gesundheit zu schaffen, definiert eben jene so: “Ebenso wie Krankheit wird Gesundheit individuell und sozial produziert, konstruiert und organisiert (…). Gesundheit ist ein relatives und relationales Phänomen, ein sozial verhandeltes Konstrukt, das vom jeweiligen kulturellen, gesellschaftspolitischen und ökologischen Kontext beeinflusst wird und sich dabei beständig erneuert (…)” (4).

Was heißt das jetzt konkret? Suggeriert wird hier, dass Gesundheit ein Spektrum ist, was durch viele verschiedene Faktoren wie Politik, Werbung und Trends, kulturelle Vorstellungen usw. geprägt und in die Gesellschaft getragen wird. Dabei wird Gesundheit nicht nur durch den reinen Zustand der beiden Gegenpolen Gesundheit und Krankheit definiert, sondern ebenso durch die verschiedenen Graustufen dazwischen.

Gesundheit ist also viel individueller, als wir oftmals annehmen und kann in einem bewussten und achtsamen Raum in uns entstehen und definiert werden.

Ohne Maß: Was ist Gesundheitswahn?

Wenn Gesundheit aber so schwer zu definieren ist, ab wann wird sie dann zu viel? Wie auch Gesundheit, lässt sich Gesundheitswahn nicht starr kategorisieren und findet auf mehreren Ebenen statt. Eine erste Definition von Gesundheit hilft uns wahrzunehmen, wo dieses “zu viel” eventuell anfängt und wo der Wahn auf Gesundheit trifft. Einfach gesagt dort, wo es den Rahmen “Gesundheit” übersteigt, dort wo Verhaltensweisen exzessiv werden. Aber im nächsten Schritt auch dort, wo es sich nicht mehr gut anfühlt, dort wo wir eigene Grenzen überschreiten.

Es ist gar nicht so leicht zu merken, wo diese Grenzen verschwimmen, wenn uns von allen Seiten Dinge als “gesund” verkauft werden, die es womöglich gar nicht sind.

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Wo findet sich Gesundheitswahn wieder?

Man muss gar nicht so weit greifen, denn Tendenzen für die Optimierung der eigenen Gesundheit können im Verlauf unseres Lebens bei allen von uns aufkommen. Sie zeigen sich in strikten Diäten, verstecken sich hinter vermeintlich gesunden Ernährungsformen und springen uns aus Instagram und Co. als neuste Gesundheits-Trends, Routinen und must-try Superfoods entgegen. Wir optimieren unsere Workout-Routinen, tracken Zahlen und Statistiken, teilen unsere Körper in messbare Werte und verlieren immer mehr den eigentlichen Bezug zu ihnen. Die Steigerung der vermeintlich eigenen Gesundheit steht also im Fokus und wird für manche zum Lebensmittelpunkt.

Ernährung

Ernährung ist eine wichtige Säule, wenn es um das Thema Gesundheit geht. Gleichzeitig ist sie sehr umstritten, wenn es um die richtige Ernährungsweise, gesunde Lebensmittel und sogenannte “No-Gos” geht. Essens- und Ernährungstrends suggerieren oftmals, dass es die richtige Ernährungsform gibt: Weniger hiervon, mehr davon essen, sich an den Ernährungsplan halten und dann folgt die Gesundheit schon. Individuelle Bedürfnisse werden dabei meist außer Acht gelassen. Das kann zu Frust, sehr einseitiger Ernährung und extremen Essverhalten führen und dazu beitragen, dass es uns eher schlechter als besser geht. In ernsten Fällen kann die Mischung aus angestrebten Schönheits- und Gesundheitsidealen in Kombination mit dem Missachten eigener Bedürfnisse auch zu verschiedenen Formen von Angst- und Essstörungen oder Depressionen führen.

Fitness und Sport

Auch das Thema Sport nimmt eine wichtige Rolle ein, wenn wir über Gesundheitswahn sprechen. Bewegung ist etwas ganz wunderbares und hilft unserem Körper enorm dabei beweglich zu bleiben und sich gut zu fühlen. Auch hier spielt das Maß allerdings die entscheidende Rolle. Strenge Rituale, Fitnessvorbilder, die 6 mal die Woche im Gym trainieren, und Videos von vorher-nachher Ergebnissen, verstärken ganz oft den Drang dazuzugehören. Wir wollen auch so aussehen, da es ja nach außen hin Gesundheit, Erfolg und Kraft symbolisiert. Wenn wir das Programm dann nicht neben unserem Alltag gewuppt bekommen, schleicht sich ganz schnell schlechtes Gewissen ein. Wir reden schlecht mit uns, ja verurteilen uns sogar. Dann trainieren wir nächstes mal noch härter oder flüchten uns vielleicht in den Komfort von leckerem Essen. Exzessives Sporttreiben kann im schlimmsten Fall auch zu einer Art Sucht werden. Medizinisch ist die sogenannte Sportsucht bisher kein nachgewiesenes Krankheitsbild (1). Eine Korrelation mit anderen mentalen Krankheiten wie Depressionen oder Essstörungen liegt aber in vielen Fällen sehr nah (1).

Psyche

Die Schnelllebigkeit und der Leistungszwang unserer Gesellschaft ist nicht immer ganz leicht zu navigieren und fordert manchmal ihren Tribut. Um dem allen gerecht zu werden und hinterher zu kommen, entwickeln einige von uns sehr strikte Verhaltensweisen, um eben alles unter Kontrolle behalten zu können: Das eigene Gewicht, vermeintlich negative Verhaltensweisen (z.B. Alkohol trinken) , die eigene Gesundheit. Die Jagd nach dem perfekten Zustand von Gesundheit kann uns an den Rand dessen bringen, was schlussendlich erreicht werden will: Sich gesund fühlen. Klinische Studien belegen außerdem, “dass Menschen Verhaltensweisen zeigen können, die bei übermäßiger Ausführung zu deutlichen psychischen und auch sozialen Einbußen im Alltag führen […]” (7). Im Extremfall kann das alles auch im Gegenteil resultieren: Burnout, Essstörungen, Süchte und Co.

Wo sich schlussendlich alle Punkte zusammenfinden ist die Überschreitung unserer eigenen körperlichen und mentalen Grenzen, die wir sowohl individuell erfahren, als auch ab einem gewissen Zeitpunkt medizinisch feststellen können. Bei aller Ernsthaftigkeit besteht aber - wie immer - auch ganz viel Hoffnung. Wir selbst sind in der Lage, unsere individuelle Gesundheit zu definieren und eine ausgeglichene Lebensweise zu entwickeln. Schlussendlich kommt es auf eine Sache an: Dass wir uns gut fühlen.

Wie wir mit dem Thema Gesundheitswahn einen Umgang finden und eine gesunde Balance entwickeln können, erfährst du nächste Woche in Teil 2 unseres Artikels.

Wenn du das Gefühl hast, professionelle Unterstützung zu benötigen, findest du unten eine Liste mit Hilfsangeboten.


Hilfsangebote:

TelefonSeelsorge - Telefonisch (0800-1110111 sowie 0800-1110222) oder per Email, Chat und vor Ort

Krisenchat - Online

Therapie.de - Verzeichnis von Therapeut:innen


Quellen:

Achtsamkeitsimpuls

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