Meine Stärken: Wie erkenne und nutze ich sie?

Wir fokussieren uns oft auf unsere Schwächen und Defizite. Aber wann hast du dich zuletzt gefragt: Was sind eigentlich meine Stärken? Finde sie mit diesen psychologischen Tipps heraus und nutze sie bewusster im Alltag.

Lerne von Prof. Dr. Judith Mangelsdorf im 7Mind Podcast, wie dir “Stärkensubtraktion” helfen kann, deine Stärken herauszufinden:

Hier Folge anhören

von Eva Siem (MSc. Psychologin)
veröffentlicht am 06. Oktober 2025

In Bewerbungsgesprächen kam sie fast immer: die Frage nach meinen Stärken. Ich weiß noch, wie damals mein Kopf ratterte, während ich krampfhaft nach einer halbwegs klugen Antwort suchte.

Schwächen? Kein Problem, mein Grübelkopf hat eine Liste parat. Aber meine Stärken? Da habe ich früher vielleicht irgendwas von „teamfähig“ gemurmelt und gehofft, schnell zum nächsten Thema zu kommen.

Heute weiß ich: Stärken sind nicht bloß etwas, das man im Bewerbungsgespräch runterleiert – sie zeigen dir, was dich wirklich energetisiert, was dir hilft, dich durch Herausforderungen zu navigieren und wo du dein Potenzial am besten einsetzt. Am Ende ist diese Frage im Bewerbungsgespräch also auch ein Check-in für dich selbst, um zu überprüfen, wie gut die Stelle eigentlich zu dir und deinen Vorstellungen passt, nicht nur andersrum.

In diesem Artikel erfährst du deshalb, wie du deine Stärken herausfindest, wofür sie gut sind und wie du sie in deinem Alltag besser einsetzen kannst.

Erfahre, wie positive Psychologie deinen Alltag bereichern kann mit der geführten Journaling Übung “3 Fragen am Morgen” in der 7Mind App:

Jetzt 7Mind testen

Wofür sind meine Stärken gut?

Vorweg ein kleiner Einblick, warum es sich lohnt, diesen Artikel weiterzulesen:

Laut einer internationalen Gallup Studie mit über 1,7 Millionen Befragten haben nur 20 Prozent der Mitarbeitenden das Gefühl, ihre Stärken täglich bei der Arbeit einsetzen zu können. Je länger sie im Unternehmen sind und je höher die Position, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Stärken jeden Tag nutzen können [1].

Noch immer ist die Personalentwicklung überwiegend schwächenorientiert. Und das ist schade, denn den Alltag mehr nach deinen Stärken auszurichten macht nicht nur mehr Spaß, sondern hat laut Forschung weitere verlockende Vorteile:

  • Mehr Lebenszufriedenheit: In einer Studie von Littman-Ovadia und Steger (2010) zeigte sich: Wer seine sogenannten “Charakterstärken” im Alltag oder Job aktiv nutzt, fühlt sich generell wohler und erlebt mehr Sinn im Leben [2]. In einer anderen Studie wurde außerdem ein Zusammenhang mit dem produktiven und erfüllenden Flow-Zustand gefunden, in dem man voller Freude in einer Aktivität aufgeht [3].

  • Erfülltere Beziehungen: Ein anderes Forschungsteam fand im Jahr 2023 heraus, dass Personen, die ihre positiven Charaktereigenschaften stärker auslebten, ihre Freund:innenschaften meist als erfüllender und qualitativ besser empfanden [4].

  • Bessere Gesundheit: Laut einer Studie stehen viele Charakterstärken im Zusammenhang mit einer besseren Gesundheit [5].

  • Größerer Therapieerfolg: Ein Team um Martin Seligman, Begründer der positiven Psychologie, zeigte, dass Charakterstärken als erfolgversprechender Ansatz in der Psychotherapie sind, da sie Patient:innen helfen, ihre Ressourcen zu entdecken und zu nutzen, was die Therapiewirkung verbessern kann [6].

  • Bessere Leistung: Über 1.000 Mitarbeiter:innen wurden weltweit befragt mit dem Ergebnis, dass die Nutzung ihrer Signaturstärken zu einer messbar höhere Leistung, positiveres arbeitsbezogenes Verhalten sowie weniger unternehmensschädigende Verhaltensweisen führten [7].

Meine Stärken: Was ist das überhaupt?

Um deine Stärken herauszufinden, müssen wir erstmal die Begrifflichkeiten aufdröseln. Häufig werden Stärken nämlich mit Fähigkeiten gleichgesetzt. In der Psychologie sind das allerdings unterschiedliche Konzepte.

Prof. Dr. Judith Mangelsdorf, die erste Professorin für positive Psychologie in Deutschland, erklärt den Unterschied zwischen Stärken und Fähigkeiten im 7Mind Podcast:

Kurz gesagt:

  • Bei Stärken geht es um das “Wie”: Wie begegne ich der Welt? Sie sind tief in unserer Persönlichkeit verankert und daher relativ stabil über Zeit und verschiedene Situationen hinweg. Das kann z.B. Mut, Hoffnung, Liebe oder Kreativität sein.

  • Bei Fähigkeiten steht das “Was” im Vordergrund: Was kann ich gut? Welche erlernten Fähigkeiten habe ich? Vielleicht bist du gut in Handball oder hast handwerkliches Geschick?

Charakterstärken

Über 50 Expert:innen haben sich zusammengetan, um 24 Charakterstärken kategorisiert in sechs Tugenden zu definieren. Sie basierten auf verschiedenen Quellen – aus der Philosophie, Psychologie, Sozialwissenschaft, Religion oder historischen Quellen. Diese Tugenden und Stärken sind universell gültig – also zeitunabhängig, interreligiös und kulturlos.

Wie du deine individuellen Charakterstärken herausfindest, erfährst du weiter unten im Artikel.

Stärken und Schwächen: Worauf sollte der Fokus liegen?

Sollte ich nicht lieber meine Schwächen ausbügeln? Rede ich mir die Welt nur schön, wenn ich mich auf meine Stärken fokussiere?

Zunächst einmal kann man die Grenze zwischen Stärke und Schwäche gar nicht so klar ziehen, wie es in der Theorie manchmal scheint. Schließlich ist auch das Ausmaß und der Kontext entscheidend. Als Beispiel:

Durchsetzungsfähigkeit kann super sein, um eigene Bedürfnisse und Grenzen zu vertreten oder Projekte fertigzustellen. Im Übermaß kann es allerdings auch als zu dominant oder unsensibel wahrgenommen werden. Stell dir vor, du planst einen schönen Nachmittag mit Freund:innen und beharrst bei jedem Detail auf deiner Meinung. Oder du bist in einem Brainstorming mit Kolleg:innen und andere Stimmen und Ideen gehen dabei unter. Das Ausmaß und der Kontext sind also entscheidend, um deine Stärken wirklich gut einzusetzen.

Stärke dein Selbstvertrauen mit dem gleichnamigen 7Mind Kurs:

Jetzt 7Mind App herunterladen

Nimm deine Schwächen huckepack

Prof. Dr. Judith Mangelsdorf erklärt außerdem, dass es je nach Ziel auch sinnvoll sein kann, an seinen Schwächen zu arbeiten, man allerdings nie das gleiche Level erreicht, das man beim Ausbauen seiner Stärken erreichen würde. Was sie in dem Kontext rät, ist, seine Schwächen “huckepack zu nehmen”.

Du leugnest oder bekämpfst sie nicht, sondern balancierst die Schwächen so mit deinen Stärken aus, dass sie dich nicht ausbremsen. Um es etwas anschaulicher zu machen:

Vielleicht fällt dir Perfektionismus ablegen schwer? Deine Stärke ist dafür die Liebe zum Lernen? Dann nimm den Perfektionismus doch huckepack: Nutze deine Liebe zum Lernen, um dir gezielt Wissen anzueignen und dich für neue Themen zu begeistern. Setze deinem Perfektionismus gleichzeitig Grenzen (z.B. “Ich informiere mich eine Stunde und starte dann”), um dich nicht zu verzetteln und noch mehr Informationen anzuhäufen, bevor du in die Umsetzung gehst.

Es geht also nicht darum, deine Schwächen wegzulächeln. Vielmehr können wir lernen, sie durch die eigenen Stärken begleiten, sodass sie nicht die Richtung vorgeben, sondern lediglich “mitreisen”.

Bild

Stärken Test: Worin bin ich gut?

Prof. Dr. Judith Mangelsdorf erzählt im 7Mind Podcast, dass viele unter sogenannter “Strengths Blindness” (dt. “Stärkenblindheit”) leiden: Sie glauben vielleicht, ihre Stärken zu kennen, aber häufig stimmt das gar nicht. Dabei kann ein größeres Bewusstsein für die eigenen Stärken helfen, einen besseren Job-Fit zu schaffen und allgemein zufriedener und erfüllter zu sein.

Wenn du herausfinden willst, was deine Stärken sind, haben wir hier zwei Tipps gesammelt:

1. VIA Strengths Finder

Du suchst einen Stärken-Test, um herauszufinden, worin du gut bist? Dann probier doch zum Beispiel den VIA Strengths Finder (VIA bedeutet "Values in Action"). Das ist ein wissenschaftlich fundierter und kostenloser Online-Test aus der Positiven Psychologie, entwickelt von Martin Seligman und Christopher Peterson. Er misst 24 universelle Charakterstärken, die in Studien weltweit bestätigt wurden – etwa Kreativität, Fairness oder Humor. Beantworte dafür einige Fragen, um deine persönlichen Top-Stärken zu erkennen, also jene Eigenschaften, die dich besonders motivieren, erfüllen und in denen du dein volles Potenzial entfaltest.

2. Stärken-Reflexion:

Prof. Dr. Judith Mangelsdorf verrät im 7Mind Podcast Strategien, um die eigenen Stärken herauszufinden. Beispielsweise nennt sie drei Reflexionsfragen, die ursprünglich von dem Psychologen Biswas-Diener beschrieben wurden [8]:

  • Worauf aus der Vergangenheit bin ich stolz?

  • Was energetisiert mich gerade in der Gegenwart?

  • Worauf freue ich mich in der Zukunft?

Das Beanworten dieser Fragen kann einen Einblick in deine Stärken geben. Schließlich geht es bei Stärken nicht nur darum, was du gut kannst, sondern auch, was dich intrinsisch motiviert und energetisiert. Wenn du möchtest, kannst du deine Antworten notieren und die Übung wiederholen, sodass du deine Notizen nach einiger Zeit vergleichen kannst.

Weitere Tools, zum Beispiel die “Stärkensubtraktion” verrät Prof. Dr. Judith Mangelsdorf im 7Mind Podcast:

Hier geht’s zur Folge

Wie setze ich meine Stärken im Alltag bewusst ein? 3 Ideen

Sobald du deine Stärken kennst, kannst du überlegen, wie du sie im Alltag gezielter einsetzen kannst. Hier sind drei Ideen dafür:

1. Ein Stärken-Tagebuch führen

Ein einfacher, aber wirkungsvoller Ansatz ist, dir am Ende des Tages zu notieren, wann du deine Stärken genutzt hast – egal ob groß oder klein. Vielleicht hast du Humor eingesetzt, um eine angespannte Situation zu entspannen? Oder Fairness, um in einer Diskussion alle Stimmen zu Wort kommen zu lassen?

Das kann dir auch aufzeigen, in welchen Lebensbereichen du deine Stärken vielleicht noch häufiger ausleben möchtest. Wenn du magst, nimm dir zusätzlich die Challenge, für den nächsten Tag eine Stärke bewusst einzuplanen. Gibt es eine bestimmte Herausforderung, bei der dir eine deiner Stärken helfen könnte? Mit einer Reflexion wie dieser machst du deine Stärken Schritt für Schritt zu einem bewussten Bestandteil deines Alltags.

2. Nutze Positives Nudging

„Nudging“ bedeutet so viel wie ein kleiner Schubs in die gewünschte Richtung. Du kannst dir also selbst kleine Erinnerungen setzen, die dich dabei unterstützen, deine Stärken bewusster zu leben. Das kann eine Murmel in der Hosentasche sein, die dich daran erinnert, mutig zu handeln, oder ein Post-it an deinem Kühlschrank, das deine Kreativität symbolisiert. Positives Nudging kann dir helfen, deine Stärken nicht nur theoretisch zu kennen, sondern sie im Alltag tatsächlich einzusetzen [9].

3. Probiere Job Crafting für mehr Arbeitszufriedenheit

Du fragst dich, ob du den Job wechseln müssest, um deine Stärken besser einzubringen? Manchmal reicht es schon, den bestehenden Job ein Stück weit „umzuschneidern“. Genau das meint Job Crafting: kleine Anpassungen im Arbeitsalltag vornehmen, damit deine Stärken mehr Raum bekommen.

Vielleicht übernimmst du ein Projekt, bei dem du deine Kommunikationsfreude ausspielen kannst, bringst eigene Ideen für Prozesse ein oder suchst bewusst den Austausch mit Kolleg:innen? Wenn du die Möglichkeit hast, sprich am besten mit deinem Team Lead über Möglichkeiten, um deine Stärken häufiger einsetzen zu können.

Stärken als tägliche Ressource

Am Ende geht es nicht darum, eine perfekte Liste von Stärken für das Bewerbungsgespräch auswendig zu können, sondern sie wirklich im eigenen Alltag zu erleben. Wenn du dir das bewusst machst, wird "meine Stärken" plötzlich mehr als eine Standardfrage im Bewerbungsgespräch – es wird zu einem Werkzeug, um deinen Alltag ein Stück mehr nach dir auszurichten. Such dir doch eine Übung aus diesem Artikel aus und probier sie einfach mal aus.

Stärke deine Selbstwirksamkeit mit den wissenschaftlich fundierten Übungen in der 7Mind App:

Jetzt 7Mind App testen


FAQs: Was euch interessiert

Was sind Beispiele für meine Stärken?

Stärken sind individuelle Charakterzüge, die dich im Alltag unterstützen. Beispiele aus der Forschung zu Charakterstärken sind etwa Kreativität, Mut, Humor, Fairness, Ausdauer oder Dankbarkeit. Sie sind keine bloßen Fähigkeiten, sondern beschreiben, wie du handelst und was dir Energie gibt.

Welche sind meine Stärken?

Das kannst du am besten mit einem wissenschaftlich fundierten Stärkentest herausfinden – zum Beispiel dem kostenlosen VIA Strengths Finder. Ergänzend lohnt es sich, dich selbst zu reflektieren: Worauf bist du stolz? Was gibt dir Energie? Worauf freust du dich? Antworten auf solche Fragen helfen, deine persönlichen Stärken zu erkennen.

Was sind deine 3 Top-Stärken?

Deine "Top-Stärken" sind die VIA Charakterstärken, die bei dir besonders stark ausgeprägt sind. Sie zeigen sich in Situationen, in denen du dich lebendig, motiviert und authentisch fühlst. Welche drei Stärken das genau sind, ist sehr individuell (z.B. kognitive Stärken, emotionale Stärken, …). Stärkentests wie der VIA Strengths Finder können dir helfen, deine persönliche Top-Liste zu entdecken.

Was sind positive Stärken?

Positive Stärken sind Ressourcen, die dich unterstützen, Herausforderungen zu meistern und erfüllter zu leben. Die positive Psychologie spricht von 24 universellen Charakterstärken wie z.B. Neugier, Teamgeist, Hoffnung oder Gerechtigkeit. Sie sind über Kulturen hinweg ähnlich relevant.

Wie formuliere ich meine Stärken in einer Bewerbung?

Wichtig ist, deine Stärken konkret und praxisnah zu beschreiben. Statt einfach "teamfähig" zu sagen, erzähle lieber von einer Situation, in der du erfolgreich im Team gearbeitet hast. So wird deine Stärke greifbar, authentisch und hebt dich von Floskeln ab, die Personalabteilungen schon tausendmal gehört haben.

Wie finde ich heraus, was meine Stärken sind?

Neben Stärkentests der positiven Psychologie kannst du deine Stärken z.B. durch Reflexion entdecken. Stelle dir folgende Fragen:

  • Worauf aus der Vergangenheit bin ich stolz?

  • Was energetisiert mich gerade in der Gegenwart?

  • Worauf freue ich mich in der Zukunft?


Quellen:

[1] Buckingham M, Clifton DO, Volkhard Matyssek. Entdecken Sie Ihre Stärken Jetzt! Das Gallup-Prinzip Für Individuelle Entwicklung Und Erfolgreiche Führung. Frankfurt [Hessen] New York Campus Verlag; 2016.

[2] Littman-Ovadia, H., & Steger, M. (2010). Character strengths and well-being among volunteers and employees: Toward an integrative model. The Journal of Positive Psychology, 5(6), 419–430. doi: org/10.1080/17439760.2010.516765.

[3] Peterson C, Ruch W, Beermann U, Park N, Seligman MEP. Strengths of character, orientations to happiness, and life satisfaction. The Journal of Positive Psychology. 2007;2(3):149-156. doi:https://doi.org/10.1080/17439760701228938

[4] (PDF) Character Strengths as a Predictor of Adult Friendship Quality and Satisfaction: Implications for Psychological Interventions. ResearchGate. Published online 2022. doi:https://doi.org/10.46853//001c.57557

[5] Weziak-Bialowolska D, Bialowolski P, Niemiec RM. Character Strengths and Health-Related Quality of Life in a Large International Sample: A Cross-Sectional Analysis. Journal of Research in Personality. 2022;103:104338. doi:https://doi.org/10.1016/j.jrp.2022.104338

[6] Seligman, M. E. P., Rashid, T., & Parks, A. C. (2006). Positive psychotherapy. American Psychologist, 61(8), 774–788. https://doi.org/10.1037/0003-066X.61.8.774

[7] Littman-Ovadia, H., Lavy, S., & Boiman-Meshita, M. (2017). When theory and research collide: Examining correlates of signature strengths use at work. Journal of Happiness Studies: An Interdisciplinary Forum on Subjective Well-Being, 18(2), 527–548. https://doi.org/10.1007/s10902-016-9739-8

[8] Biswas-Diener, R. (2010). Practicing Positive Psychology Coaching. Assessment, Acivities, and Strategies for Success.

[9] Deges J, Hughes R, Tee D. Positive Nudging: Thematic Analysis of the Experience of Participating in a Signature Strength Behavioural Nudging Intervention. International Journal of Applied Positive Psychology. 2024;9(2):1-22. doi:https://doi.org/10.1007/s41042-023-00140-3

Achtsamkeitsimpuls

Erhalte unsere neuesten Artikel, Achtsamkeitsimpulse und Angebote in unserem monatlichen Newsletter!

*Pflichtfelder