Wie kann ich Scham überwinden?

Warum schämen wir uns eigentlich? Scham und Schuld sind schwierige Gefühle. Mach dir Erkenntnisse der Psychologie zunutze und lerne, sie zu überwinden.

Es ist passiert. Und dann auch noch vor versammelter Mannschaft. Du hast etwas getan oder gesagt, das dir unendlich peinlich ist. Vor deinen Kollegen, vor deinen Freunden oder auch vor komplett fremden Menschen. Jetzt sitzt du zu Hause, wälzt Gedanken hin und her. Würdest dich am liebsten in die Vergangenheit zurückversetzen lassen, um die Peinlichkeit zu umgehen. Doch es ist unmöglich. Was geschehen ist, ist geschehen. Du schämst dich.

3 Übungen bei Scham

Scham und Schuld

Scham ist ein höchst soziales Gefühl und keinesfalls angeboren. Wer sich schämt, muss bereits ein ausgeprägtes Gefühl für die eigene Persönlichkeit haben. Sozialforscher konnten belegen, dass Kinder erst ab dem 2. Lebensjahr Schamgefühle entwickeln.

Als Erwachsene sind wir bereits Experten in Sachen Scham. Wenn wir uns heute schämen, möchten wir uns am liebsten in Luft auflösen. Leider hat unser Körper in diesen Momenten genau das Gegenteil vor und kehrt unser Innerstes nach Außen: Schamesröte steigt uns ins Gesicht, wir fangen an zu schwitzen, unsere Bewegungen werden fahrig, wir sind verlegen, fühlen uns gehemmt.

Scham ist ein lähmendes Gefühl. Nicht ohne Grund hat man im Mittelalter Menschen, die ein Verbrechen begangen haben, zur Strafe an den Pranger gestellt. Auch wenn auf dem Marktplatz von heute kein Pranger mehr steht, zerren wir uns regelmäßig vor unser inneres Gericht. Dort werden wir von uns selbst schuldig gesprochen oder zumindest dazu verdonnert, uns zu schämen. Was brutal klingt, tun wir uns tatsächlich regelmäßig an. Zwischen Scham und Schuld gibt es jedoch einen feinen Unterschied.

Schuld empfinden wir, wenn wir etwas getan oder gesagt haben, das sich zum Nachteil anderer Personen ausgewirkt hat. Wir sind der Grund, warum etwas schief gegangen ist, warum jemand traurig ist, sich unwohl fühlt. Scham hingegen ist ein Gefühl, das wir tief im Innern mit unserer eigenen Person auskämpfen müssen. Wir hadern mit den eigenen Entscheidungen, hinterfragen uns selbst oder grübeln darüber nach, welchen Eindruck wir bei anderen hinterlassen haben. Egal, ob Scham oder Schuld, in beiden Fällen verurteilen wir uns selbst. Was die wenigsten wissen - Missgeschicke sind nur uns selbst peinlich. Andere Menschen reagieren meist mit Sympathie auf kleine Patzer.

Verlegenheit macht Freunde

Der Psychologe Anthony Manstead von der britischen Universität Cardiff hat nachgewiesen, dass Missgeschicke positive Emotionen hervorrufen können. In einem Experiment zum Thema Scham ließ er einen Mann beim Einkauf einen Stapel Toilettenpapier umreißen. Der Mann reagierte peinlich berührt auf die Situation. Ein zweiter Teilnehmer riss ebenfalls den Stapel um, zeigte aber keine Emotionen. Im ersten Fall regte sich in den Zuschauern der Impuls, dem Mann helfen zu wollen - er tat ihnen leid. Ähnliches konnte auch der Psychologe Matthew Feinberg von der University of California in Berkeley herausfinden. Seine Studie zu Scham und Intimität zeigte, dass Menschen, die sich verlegen zeigen, als vertrauenswürdiger, sympathischer und großzügiger wahrgenommen werden, verglichen mit eher "ungerührten" Menschen.

Im Endeffekt macht uns Scham also ein ganzes Stück menschlicher. Umso mehr wir versuchen, unsere Scham zu verstecken und zu überspielen, dass uns etwas peinlich ist, desto stärker das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Verhaltenstherapeut Holger Kuntze ist ebenfalls der Meinung, dass Bewusstheit über die eigenen Schamgefühle der erste Schritt zur Bewältigung sei. In einem Beitrag der Zeit zum Thema “Die Macht des Gewissens” sagt er, dass Ehrlichkeit eine unheimliche Befreiung sei: "Die klügste Art, auf schlechtes Gewissen zu reagieren, ist Reflexion und Aktivität" so Kuntze. Lasst uns den hochroten Kopf also mit Stolz tragen!

Durch Selbstakzeptanz zu weniger Scham:

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Scham überwinden

Wichtig ist, dass Scham auch gute Seiten hat. Scham schützt unsere Intimität, sie schützt unsere Grenzen und sorgt auch dafür, dass wir die Grenzen anderer nicht überschreiten. Nicht ohne Grund würden wir uns schämen, unbekleidet zur Arbeit zu erscheinen oder private Bilder eines guten Freundes in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Es ist ok, Geheimnisse zu haben, die wir mit niemandem teilen möchten. Es ist ok, dass wir uns davor scheuen, öffentlich unser Innerstes preiszugeben. Ein gutes Gefühl für die eigenen Grenzen zu haben, ist durchaus gesund.

Wovon wir hier sprechen, ist die Angst, etwas Falsches oder Peinliches getan zu haben. Vielleicht waren wir bei einem ersten Kennenlernen zu übermütig, haben direkt nach einem zweiten Treffen gefragt oder unsere Zuneigung wurde nicht erwidert. Vielleicht haben wir uns aber auch zurückgehalten, aus dem Glauben heraus, “nicht genug” zu sein. Achtsamkeitstraining kann dabei helfen, dass Gewahrsein für die eigene Person zu erhöhen. Wenn wir uns der eigenen Stärken, Schwächen und kleinen Macken bewusst werden, steigt auch unser Selbstwert. Wenn dich in einer akuten Situation Schamgefühle übermannen, kannst du dir folgende Fragen stellen, um aus der Gedankenspirale auszusteigen:

Wovor hast du Angst?

Rufe dir die Situation, die Scham in dir auslöst, noch einmal vor Augen. Was genau ist schief gelaufen? Versuche eine neutrale Beobachterperspektive einzunehmen. Ist das, was geschehen ist, wirklich so schlimm, wie du es bewertest? Wie würde jemand von Außen auf das Geschehen schauen? Und selbst wenn es unangenehm für alle Beteiligten war, was genau ist so schlimm daran? Werde dir bewusst, wovor du eigentlich Angst hast. Der schlimmste Fall ist oft nur in unserem Kopf schlimm. Vielleicht hat jemand eine Seite von dir gesehen, die er oder sie noch nicht kannte. Vielleicht ist diese Person nun überrascht, denn ihm oder ihr gefällt diese Seite von dir nicht. Das ist okay! Habe keine Angst davor, dich zu zeigen. Wenn du unsicher bist, wie du in einer bestimmten Situation gewirkt hast, dann sprich mit den betroffenen Personen und mache einen Realitätscheck. Frage ganz gezielt, wie die Situation, für die du dich so schämst, auf andere gewirkt hat. Die Antworten werden dich sicherlich überraschen.

Was verbietest du dir?

Schämst du dich, weil du dir verbietest, Ecken und Kanten zu haben? Perfektion ist nicht menschlich. Du musst nicht immer alles “gut” machen. Vor allem musst du nicht jedem Menschen gefallen. Erlaube dir, auch die Seiten deiner Selbst mit der Welt zu teilen, die du als nicht liebenswert betrachtest. Verbiete dir nicht, jemandem zu viel zu sein. Verbiete dir nicht kleine Patzer und “Fehltritte”. Sie sind Teil deiner individuellen Lernerfahrung, Teil deines “Menschseins”.

Was brauchst du jetzt?

Das Wichtigste zum Schluss: Gehe liebevoll mit dir selbst um! Wenn dir etwas passiert ist, für das du dich schämst, dann hau nicht nochmal drauf. Vielleicht brauchst du ein Gespräch mit einer vertrauten Person oder du gehst einer Aktivität nach, die dir Freude macht. Versuche aber vor allem herauszufinden, an welchem Punkt du gerade Selbstliebe brauchst. Das kann der Punkt in dir sein, der von allen gemocht werden möchte, der unsicher ist, der immer alles gut und richtig machen möchte, der nicht unangenehm auffallen will. Umarme diesen Teil, schäme dich nicht für ihn.

Meditation kann ein wunderbarer Weg sein, dich mit dir selbst zu versöhnen. Nimm dir einen ruhigen Moment für dich und gehe alle Fragen noch einmal durch. Sitze einfach in der Stille und komm zurück in das Hier und Jetzt. Was geschehen ist, ist geschehen. Es gibt nichts mehr daran zu ändern, außer zu sitzen und zu atmen. Gar nicht so schwer, oder? :-)


Die Podcast-Folge zum Artikel:


Bild: Jordan Whitfield auf Unsplash

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